Fachbuch Regenerative Energiesysteme
Unend­liche Kapital­ver­meh­rung

Auszug aus dem Fachbuch Regenerative Energiesysteme, Hanser Verlag München, 7. Auflage 2011, S.380-381

Die Jagd nach ständig höheren Renditen hat in den letzten Jahren immer groteskere Züge angenommen. Dabei zeigt ein einfaches Rechenbeispiel, dass unser Wirtschaftssystem auf lange Zeit gar nicht funktionieren kann. Dabei ist das heutige ökonomische System nicht nur immer öfter Auslöser von globalen Krisen. Es behindert auch die zur Bekämpfung des Klimawandels dringend benötigte Energiewende. Da bei vielen regenerativen Energiesystemen ein Großteil der Investitionen schon bei der Anlagenerrichtung anfallen, schneiden diese bei der heutigen ökonomischen Berechnungsweise besonders schlecht ab. Ein Grund mehr, einmal einen kritischen Blick auf unsere Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu werfen.

An dieser Stelle wird ein Zahlenbeispiel nach (Goetzberger, 1994) aufgegriffen. Es soll angenommen werden, dass zur Zeit von Christi Geburt, also im Jahre null, ein Eurocent mit einem Zinssatz von 4 % angelegt wurde. Mit der Zinseszinsformel kann nun berechnet werden, wie viel diese Investition im Jahre 2000 Wert gewesen wäre. Mit

k2000 = 0,01€·(1+0,04)2000 = 1,166·1032

berechnet sich die unvorstellbar große Summe von 1,166·1032 €. Bei einem Goldpreis von 33 000 €/kg würden sich damit stattliche 3,5·1027 kg Gold erwerben lassen. Die Dichte von Gold beträgt 19,29 kg/dm3, womit sich für die Goldmenge ein Volumen von 1,8·1014 km3 ergibt. Das Volumen der Erde beträgt im Vergleich hierzu nur 1,1·1012 km3, das heißt diese Goldmenge umfasst rund das 167fache Volumen der Erde.

Dieses Rechenbeispiel zeigt, dass eine Kapitalverzinsung, also ein stetiges Kapitalwachstum über sehr lange Zeiträume überhaupt nicht möglich ist, denn die Zinseszinsformel strebt für sehr große Zeiträume gegen unendlich. Niemand auf der Erde wäre in der Lage, diese Zinslasten aufzubringen. Über sehr lange Zeiträume ergeben die klassischen Berechnungsmethoden keinen Sinn. Dabei kann niemand die Zeitspanne angeben, ab der sich die Zinseszinsrechnung nicht mehr anwenden lässt. Bei einem Zinssatz von 8 % verzehnfacht sich das eingesetzte Kapital in 30 Jahren, in 100 Jahren ist es bereits 2200-mal so viel wert. Dies sind durchaus Zeiträume, wie sie bei Kapitalanlagen im Energiesektor vorkommen. Je länger der Zeitraum und je größer der Zinssatz der Kapitalanlage ist, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Kapital verloren geht oder abgewertet wird. Nicht nur in der Vergangenheit führten zum Beispiel Kriege, Währungsreformen oder auch in zunehmenden Maße Umweltkatastrophen zu einem Totalverlust des vorhandenen Kapitals. Langfristig gesehen sind diese Ereignisse nach heutigem wirtschaftlichen Denken sogar zwingend notwendig, denn sonst müsste eine fortgesetzte Kapitalverzinsung, wie in obigem Beispiel gezeigt wurde, zu unendlichem Reichtum führen.

Renditen weit oberhalb des Wirtschaftswachstums lassen sich im großen Maßstab prinzipiell nur durch Umverteilung von Kapital erzielen. Wirklich erwirtschaften lassen sich diese Renditen nicht. Gerade die Wirtschaftskrise aus dem Jahr 2009 hat uns aber auch wieder vor Augen geführt, dass Renditeversprechungen und Kapitalverlust eng miteinander verknüpft sind. Während die letzten 50 Jahre des 20. Jahrhunderts sich durch eine gewisse Stabilität ausgezeichnet haben, haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Ereignisse wie der Erste und der Zweite Weltkrieg sowie die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre zum Totalverlust von großen Kapitalmengen innerhalb von weniger als 20 Jahren geführt. Heute drohen zunehmend Verluste durch die steigende Zahl von Naturkatastrophen, die durch unsere heutige Energiewirtschaft und den Klimawandel begünstigt werden.

Oftmals fördert eine Kapitalanlage sogar den Totalverlust derselben. Ein Beispiel hierfür sind die deutschen Kriegsanleihen im Ersten Weltkrieg. Sie wurden zur Finanzierung des Krieges mit einer hohen Renditeversprechung vom Staat aufgenommen. Am Ende hatten die Kapitalgeber nicht nur ihr gesamtes Kapital verloren, sondern durch den Einsatz dieses Kapitals zur Vernichtung von weit über ihr eingesetztes Kapital hinausgehenden Vermögenswerten beigetragen. Ähnlich verhält es sich bei Investitionen im Energiesektor. Eine Investition in ein Kernkraftwerk kann beim Eintreten eines GAUs nicht nur zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals führen, sondern den Verlust weit größerer Vermögenswerte verschulden. Investitionen in fossile Energien begünstigen den Treibhauseffekt. Auch durch die Folgen des Treibhauseffektes, wie zum Beispiel das verstärkte Auftreten von Stürmen, kann es zu großen Verlusten kommen. Diese Schäden wiederum führen nicht zwangsläufig zum Verlust der Anlagen zur fossilen Energiewandlung.

Dies sind Gründe dafür, nicht nur auf ein möglichst großes Wachstum des Kapitals zu achten, sondern vor allem auch auf eine Sicherung des bereits vorhandenen Kapitals. Zu einer Sicherung können Kapitalanlagen in Technologien beitragen, die negativen Auswirkungen anderer Bereiche entgegenwirken. Eine Investition in regenerative Energiesysteme sollte nicht zuletzt auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.

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