Randa­lieren, bekifft Auto­fahren und Kern­kraft­werke betreiben

Mülltrenner, Müsliesser und Klimaschützer Gekürzter Auszug aus dem Sachbuch
Mülltrenner, Müsliesser und Klimaschützer
von Volker Quaschning
Carl Hanser Verlag München


In Deutsch­land ist aber ein großer Atom­unfall völlig ausge­schlossen. Das meinen zumindest Vertreter der Atom­wirtschaft und der Politik. Die Betreiber von Kernkraftwerken müssen daher nur eine Deckungsvorsorge von 2,5 Milliarden Euro vorweisen. Lösen Feindseeligkeiten oder Naturkatastrophen einen Atomunfall aus, haftet der Betreiber mit dieser Summe, in anderen Fällen immerhin mit dem gesamten Konzernvermögen.

Das klingt erst einmal beruhigend. Beim Wechsel meiner Autoversicherung machte ich kürzlich einmal das, was man immer machen sollte, aber in der Regel dann doch unterlässt. Ich las das Kleingedruckte. Dabei blieb ich an folgendem Satz hängen:

"Nicht versichert sind
vorsätzliche herbeigeführte Schäden
Schäden infolge von Alkohol- und Drogenkonsum sowie
Schäden durch Kernenergie"

Das fand ich dann weniger beruhigend. Randalieren, bekifft Autofahren und das Betreiben von Kernkraftwerken sind also versicherungsrechtlich gleichzustellen. Um zu sehen, ob andere Versicherungen ähnliche Meinungen vertreten, schaute ich in die Police unserer Wohngebäudeversicherung:

"Nicht versichert sind Schäden durch Radioaktivität von Kernreaktoren."

Aha! Schäden infolge von Drogenkonsum sind dort also nicht ausgeschlossen - Glück gehabt. Selbst Meteoriteneinschläge, Flugzeugabstürze und Abgänge von Schneelawinen sind in Berlin versichert, nicht aber Unfälle von Atomreaktoren. Nun fing ich an zu rechnen: Die Deckungssumme einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung liegt üblicherweise bei 100 Millionen Euro. Betrachten wir einmal einen Inhaber eines Pflegedienstes mit einem Fuhrpark von 25 Kleinwagen. 25 mal 100 Millionen macht 2,5 Milliarden. Die Autos eines Pflegedienstes sind also genau so hoch versichert wie ein Kernkraftwerk. Der Fuhrpark eines Pflegedienstinhabers ist also offensichtlich genauso gefährlich wie ein Kernkraftwerk. Nun wurde es kritisch: In unserer direkten Nachbarschaft wohnt die Inhaberin eines Pflegedienstes. Oje. Nach Jahren erkenne ich erst jetzt die Gefahr.

Aber Spaß beiseite, möglicherweise ist die Deckungssumme eines Kernkraftwerks doch etwas niedrig? Beim näheren Hinsehen ist die gefühlte geringe Höhe der Deckungssumme eines Kernkraftwerks weniger verwunderlich. Angenommen es käme in einem deutschen Kernkraftwerk aus welchen Gründen auch immer zu einem so genannten auslegungsüberschreitenden Störfall, umgangssprachlich auch Super-GAU genannt. Dann wären Schäden von mehr als 2500 Milliarden Euro zu erwarten. Dies ist über das 1000-fache der gesetzlichen Deckungsvorsorge. Müssten Kernkraftwerkbetreiber ihre Reaktoren in unbegrenzter Höhe versichern, würden die Versicherungskosten den Betrieb von Kernkraftwerken vermutlich sofort unwirtschaftlich machen. Bleibt die Frage, wer haftet, wenn die Deckungsvorsorge von 2,5 Milliarden Euro aufgebraucht und der Energieversorger Pleite ist? Ganz einfach: Die privaten Besitzer von Kraftfahrzeugen und Häusern, also wir alle. Ich sollte mal bei einem Kernkraftwerksbetreiber nachfragen, ob der im Gegenzug nicht wenigstens meine KfZ-Versicherung übernehmen könnte. Wäre doch ein schöner Zug.

Mist, das Atomkraftwerk brennt Apropos Züge und Flugzeuge: Flugzeuge eignen sich hervorragend für Terroranschläge wie wir spätestens seit dem Jahr 2001 wissen. Jetzt könnte man auf die Idee kommen, dass sich Atomkraftwerke wiederum hervorragend als Terrorziele eignen. In der Praxis ist das aber glücklicherweise nicht der Fall.

"Ein Kernkraftwerk ist für Terroristen ein wenig attraktives Ziel. Sie könnten durch einen Angriff auf die Anlage nur wenige Menschen unmittelbar töten. Ihr "Erfolgserlebnis" ist deshalb gering", klärt uns ein ehemaliger Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke im Internet auf www.energie-fakten.de auf. Puh, wenn die Fakten so liegen, haben wir in Deutschland noch mal Glück gehabt. In Frankreich haben Terroristen offensichtlich andere Erfolgserwartungen. Denn dort installierte man im Jahr 2001 erst einmal Flugabwehrgeschütze bei kerntechnischen Anlagen.

In Deutschland gibt es dagegen aber verfassungsrechtliche Bedenken. Uns bleibt also nur die Risikoanalyse. So erläutert uns der Kollege aus der Elektrizitätswirtschaft: "Die deutschen Kernkraftwerke sind gegen Einwirkungen von außen ausgelegt. Mit Ausnahme der Ältesten." Aha. Das ist ja dann wieder einmal beruhigend.

Zumindest die neueren Kraftwerke sind in Deutschland also gegen Flugzeugabstürze gesichert. Diese Anlagen sind so konstruiert, dass ein verirrtes 20 Tonnen schweres Kampfflugzeug vom Typ Phantom bei einem Volltreffer nicht den Reaktorschutzmantel durchschlagen kann. Dass ein 500 Tonnen schwerer Airbus A380 mit 250 Tonnen Kerosin an Bord in ein deutsches Atomkraftwerk einschlägt, war hingegen nicht geplant. Warum auch? Wer sollte auch schon auf die Idee kommen, ein Linienflugzeug in ein Gebäude zu steuern?

Da einige Kraftwerke überhaupt nicht geschützt sind und andere für wesentlich kleinere Einwirkungen von außen geplant sind, gibt es inzwischen Ideen für einen nachträglichen Schutz. Statt Flugabwehrgeschützen sollten beispielsweise rund um deutsche Atomkraftwerke Nebelkanonen aufgestellt werden. Steuert ein entführtes Linienflugzeug einen Reaktor an, wird dieser sofort in Nebel gehüllt und wäre durch den Terrorpiloten nicht mehr zu sehen. Bleibt nur die Frage, wie finden eigentlich echte Piloten bei echtem Nebel die Landebahn eines Flughafens?

Die Nebelidee hat bislang nicht extrem viele Anhänger gefunden und wird vermutlich doch nicht umgesetzt. Ein anderer Lösungsansatz zur Terrorabwehr klingt hingegen höchst interessant. Man könnte einen Ring von großen Windkraftanlagen rings um ein Kernkraftwerk aufbauen. Dort würden dann anfliegende Flugzeuge hängen bleiben, bevor sie in das Kraftwerk rasen. Beseitigt man dann auch noch den Reaktor in der Mitte, hätte man wirklich eine perfekte Lösung für ein absolut sicheres Kernkraftwerk gefunden.

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