Poli­tisch ausge­bremst

Dieses Inter­view ist in den Zeitschrift Photovoltaik 06-2012, S.10-11 erschienen.

Zubau: In regelmäßigen Abständen veröffentlicht das Umweltministerium die sogenannte Leitstudie. Hier werden die zu erwartenden Entwicklungen der Energieversorgung in Deutschland auf Basis der aktuellen Energiepolitik untersucht. Die Photovoltaik kommt dabei traditionell nicht allzu gut weg. Volker Quaschning äußert sich zu den Perspektiven für den Solarstrom.

Photovoltaikausbau verlangsamen Kürz­lich hat das Bundes­umwelt­minis­terium die Ergeb­nisse seiner neuen Leit­studie ver­öffent­licht. Sie kriti­sieren wesent­liche Teile der Studie. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Fehler?

Erst einmal haben die beteiligten Forscher ihren Auftrag aus wissenschaftlicher Sicht über weite Strecken recht anständig erfüllt. Das Hauptproblem liegt bereits in der Auftragsstellung. Die Studie soll das Energiekonzept der Bundesregierung abbilden, das eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen um mindestens 80 Prozent bis zum Jahr 2050 vorsieht. Aufgrund der dramatischen Entwicklung bei der globalen Erwärmung empfehlen Klimaforscher eine vollkommen kohlendioxidfreie Energieversorgung allerdings möglichst schon bis zum Jahr 2040 Mit dem vorgelegten Konzept wird sich das von der Bundesregierung anvisierte Zwei-Grad-Ziel für die maximale globale Erwärmung nicht erreichen lassen. Damit wäre ein wirksamer Klimaschutz erst einmal beerdigt.

Die Autoren der Studie gehen davon aus, das bis 2050 in Deutschland zwischen 67 bis 79 Gigawatt Photovoltaikleistung installiert sein werden. 2011 waren es aber bereits 25 Gigawatt. Die Bundesregierung müsste daher einen schnellen Rückgang der Zubauzahlen erwarten.

Mit diesen Zahlen folgen die Autoren ebenfalls den Vorstellungen der Bundesregierung. Braun- und Steinkohlekraftwerke sollen – wenn auch mit abnehmender Bedeutung – als Übergangstechnologien noch bis 2040 Bestandteil der Stromversorgung in Deutschland bleiben. Dies wird allerdings umso schwieriger, je mehr Photovoltaikleistung installiert ist. Schon bald dürfte wegen den starken Schwankungen innerhalb eines Tages ein wirtschaftlicher Betrieb von Kohlekraftwerken kaum mehr darstellbar sein. Daher soll nach der Studie die jährliche Neuinstallation von Photovoltaikanlagen von 7,5 Gigawatt im Jahr 2011 auf drei Gigawatt im Jahr 2017 sinken. Das wäre aber immerhin noch ein höherer jährlicher Zubau, als jüngst von der Bundesregierung mit der EEG-Novelle in Spiel gebracht wurde. Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, dass der Zubau auch langfristig auf einem derart niedrigen Niveau verharren wird.

Was wäre denn aus ihrer Sicht ein realistisches Zubauszenario für die Photovoltaik in Deutschland?

Selbst wenn wir die Installationen überwiegend auf den Gebäudebereich beschränken, lassen sich in Deutschland gut 200 Gigawatt bis 2035 erreichen. Ein Platzproblem gibt es also nicht. Auch aus wirtschaftlichen Gründen ist zu erwarten, dass ein Großteil der Potenziale erschlossen wird. Geht man von einer durchschnittlichen Anlagenlebensdauer von 25 Jahren aus, wäre das ein dauerhafter jährlicher Zubau von acht Gigawatt, was in etwa den Zubauzahlen von 2010 und 2011 entspricht.

Gerade aus wirtschaftlichen Gründen erwartet die Studie aber den Rückgang der Photovoltaikzahlen zugunsten der günstigeren Windkraft?

Die Studie sieht für die Photovoltaik nur sehr konservative Kostenreduktionen und dürfte damit ziemlich daneben liegen. Die Autoren gehen von solaren Stromgestehungskosten von 19 Cent je Kilowattstunde für 2015 und 13 Cent je Kilowattstunde für 2020 aus. Langfristig sind es dann neun Cent je Kilowattstunde, während für die Windenergie fünf Cent je Kilowattstunde prognostiziert werden. Dabei sind 19 Cent je Kilowattstunde für die Photovoltaik bereits heute realisierbar und die 13 Cent je Kilowattstunde werden wohl auch deutlich vor 2020 erreicht. Doch selbst wenn die Autoren der Studie mit den hohen Werten Recht hätten, wäre damit die Photovoltaik deutlich attraktiver als die Windenergie.

Warum?

Weil auch diese Studie – wie viele andere Studien zuvor – systematische Fehler macht und die Unterschiede von Anlagen bei Versorgern und bei Endkunden nicht erkennt. Zahlreiche Experten rechnen im Jahr 2020 mit Haushaltsstrompreisen, die deutlich über 30 Cent je Kilowattstunde liegen. Wenn die Endkunden ihren Solarstrom für 13 Cent je Kilowattstunde dann selbst erzeugen können, ergeben sich für sie bombige Geschäftsmodelle. Wie will man denn da noch verhindern, dass die Leute sich massenhaft auf die Photovoltaik stürzen, um ihre ständig steigende Stromrechnung zu drücken? Um die niedrigen Zubauzahlen der Studie einzuhalten, müsste die Politik entweder die Photovoltaik in Privathaushalten verbieten oder Strafsteuern auf Solarstrom erheben. Beides wäre wohl selbst von einer erzkonservativen Regierung kaum durchsetzbar.

Sie gehen also davon aus, dass auch in diesem Jahr wieder deutlich mehr als drei Gigawatt installiert werden?

Die Bundesregierung hat in ihren Vorstellungen klar ausgedrückt, dass sie künftig deutlich unter drei Gigawatt bleiben möchte. Die erhebliche Verunsicherung, die die Diskussionen um die Solarförderung ausgelöst hat, wird auch Spuren bei den Zubauzahlen hinterlassen. Immerhin ist verhindert worden, dass der deutsche Solarmarkt eine absolute Vollbremsung hinlegt. Mehr als drei Gigawatt neu installierte Photovoltaikleistung werden dieses Jahr trotz aller Widrigkeiten wohl zusammenkommen. Nun geht es darum, möglichst schnell selbsttragende Märkte zu etablieren, die sich über den Eigenverbrauch rechnen.

Was verstehen Sie unter selbsttragenden Märkten?

Bislang waren die großen weltweiten Märkte immer politische Märkte und wurden durch Förder- oder Markteinführungsprogramme wie das EEG in Deutschland getrieben. Hier hat stets die Politik die Rahmenbedingungen, die Preise und die Wachstumsdynamik definiert. Es gibt auch schon jetzt selbsttragende Märkte. In Deutschland beschränken sie sich derzeit noch auf Anwendungen wie Parkscheinautomaten und solar versorgte beleuchtete Hausnummern, die auch ohne Förderprogramme konkurrenzfähig sind. Künftig werden aber zunehmend große Eigenverbrauchsanlagen für Haushalte und Gewerbebetriebe konkurrenzfähig. In einer überschaubaren Zeit wird sich die Photovoltaik auch rechnen, wenn sie als Einspeisetarif nur den üblichen Marktpreis erhält. Dann kann die Politik nur noch unwesentlichen Schaden anrichten.

Wie sieht ihre mittelfristige Prognose für den Zubau aus und wie wird sich dies auf die EEG-Umlage auswirken?

Mittelfristig hoffe ich, dass der jährliche Zubau sich wieder in Richtung acht Gigawatt bewegt. Natürlich werden die EEG- Umlage und auch die anderen Bestandteile der Stromrechnung weiter zunehmen. Ganz ohne Investitionen, die irgendjemand auch bezahlen muss, lässt sich nun mal eine Energiewende nicht realisieren. In der Politik hat momentan niemand den Mut, der Bevölkerung diese einfache Wahrheit zu vermitteln. Eine Forderung nach einer Energiewende zum Nulltarif ist aber wenig realitätsnah. Die EEG-Umlage steigt zudem auch ohne einen hohen Photovoltaikzubau, da immer mehr Industrieunternehmen von der Umlage befreit werden und die Solarenergie zudem noch die Referenzpreise an der Strombörse drückt. An diesen Punkten müsste das Umlagesystem dringend überarbeitet werden. Es werden aber künftig zunehmend Photovoltaikanlagen errichtet, die sich über die Eigenstromerzeugung weitgehend selbst tragen und sich einen immer geringeren Anteil der Erzeugung über das EEG vergüten lassen.

Welche Fehler hat die Solarbranche in der Vergangenheit gemacht und wie kann sie die Entwicklung in die von Ihnen skizzierte Zukunft unterstützen?

Die Branche hat sich stets arge Zurückhaltung bei den Zubauerwartungen auferlegt. Der Korridor der Bundesregierung unterhalb von maximal jährlich 3,5 Gigawatt wurde im letzten Jahr abgenickt. Da darf man sich dann auch hinterher nicht beschweren, wenn die Regierung das auch durchsetzen will. Die Markteinführung der Photovoltaik durch das EEG war zwar sehr erfolgreich, aber selbstkritisch gesehen auch nicht ganz billig. Wenn dann die Botschaft lautet: Gebt uns viel Geld, aber erwartet nicht, dass wir jemals mehr als zehn Prozent zur Stromversorgung beitragen, ist die Story nicht wirklich sexy und überzeugend. Früher oder später war daher massiver Gegenwind zu erwarten.

Welche Vision sollte die Solarbranche transportieren?

Die Solarenergie kann deutlich mehr. 200 Gigawatt und damit 20 bis 30 Prozent Anteil an der Stromversorgung bis 2035 in Deutschland sind drin. Diese Vision muss die Branche transportieren und den dazu nötigen Zubau von acht Gigawatt pro Jahr einfordern. Zugleich müssen vorhandene, aber lösbare technische Probleme aus dem Weg geräumt werden. Dann konnte die Solarenergie sogar international Schrittmotor für einen wirksamen Klimaschutz werden.

Die Fragen stellte Sandra Enkhardt.

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