Die Kohle muss weg
Die Kohleverstromung erfährt in Deutschland immer noch parteiübergreifende Unterstützung. Dabei
behindert die Kohleverstromung die Energiewende und ist hauptverantwortlich für massive Gesundheitsschäden und den Klimawandel.
Es wird endlich Zeit, dass ein sozialverträglicher Kohlausstiegsplan entwickelt wird.
Es gibt eine Institution, auf deren Konto gehen jedes Jahr über 3000 Todesopfer. Mehr als 100.000 Menschen mussten wegen
ihr in den letzten Jahrzehnten bereits Haus und Hof verlassen. Ihre Geschäfte kann sie weitgehend ungehindert abwickeln, da
ehemalige Minister und Abgeordnete auf ihrer Gehaltsliste stehen und sie auch bei der jetzigen Regierung ein- und ausgeht.
Selbst wenn es die Institution einmal nicht mehr geben sollte, wird ihr Handeln über Jahrzehnte Nachwirkungen haben.
Gut 20 Milliarden Euro pro Jahr betragen die Schäden, die sie mit ihren Geschäften künftigen Generationen aufgebürdet hat.
Wer bei diesen Fakten an Waffenhändler, Terroristen oder Drogenkartelle denkt, liegt falsch. Ich spreche von einem Industriezweig.
Gemeint ist die deutsche Kohlewirtschaft.
Nach einer Greenpeace-Studie sterben in Europa jedes Jahr 3100 Menschen infolge der Luftverschmutzung von deutschen
Kohlekraftwerken. Auch wenn mit der Universität Stuttgart eine renommierte wissenschaftliche Einrichtung die Studie verfasst hat,
lässt sich über die Zahlen natürlich wissenschaftlich trefflich streiten. Ein Blick in die Schadstoffdatenbank des Umweltbundesamts
liefert aber erschreckende Fakten. Im Jahr 2012 blies allein Deutschlands größtes Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg
505 Kilogramm Quecksilber in die Luft.
Kompaktleuchtstoffröhren sind durch das in ihnen enthaltene stark gesundheitsschädliche Quecksilber in Verruf geraten. Mit
dem Quecksilber aus Jänschwalde ließen sich pro Jahr unvorstellbare 200 Millionen Energiesparlampen befüllen. Als ich diese
Zahlen zum ersten Mal ausrechnete, erschien mir die Greenpeace-Studie gar nicht mehr so weit hergeholt. Eine Energiepolitik,
die dies ermöglicht, kann man kaum verantwortungsbewusst nennen. Aufgrund der enormen Quecksilberbelastung bekämen fast alle
deutschen Kohlekraftwerke in den USA gar keine Betriebserlaubnis.
Wobei die USA nicht gerade für ihre strengen Umweltvorschriften bekannt sind. Doch bei der Kohle drückt das selbst ernannte
Umweltvorbildland Deutschland beide Augen zu. In Bayern gehen die Bürger bereits auf die Straße, wenn in 20 Minuten Laufentfernung
von ihrem Haus eine Windkraftanlage geplant wird. In Brandenburg oder Nordrhein-Westfahlen werden tausende Häuser einfach weggebaggert.
Wo Menschen einst ihre Heimat hatten, klaffen nun 200 Meter tiefe Löcher. Der Politik scheint das Schicksal der Menschen egal zu sein.
In ihren Augen hatten sie einfach Pech, auf Braunkohlevorräten zu wohnen.
Klimaschutz und Kohlestrom schließen sich aus
Mehr als ein Kilogramm des Treibhausgases Kohlendioxid verursacht ein altes Braunkohlekraftwerk bei der Erzeugung einer
Kilowattstunde elektrischer Energie. Braun- und Steinkohle sind für rund 40 Prozent der deutschen Kohlendioxidemissionen
verantwortlich. Klimaschutz und Kohlestromerzeugung schließen sich damit faktisch aus. Wollen wir mit Sicherheit das viel
beschworene Zwei-Grad-Ziel beim Klimaschutz einhalten, darf bereits in 25 Jahren gar kein fossiles Kraftwerk mehr laufen.
Das Umweltbundesamt beziffert die Klimafolgeschäden auf etwa 70 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Die jährlichen Klimaschäden der
deutschen Kohlekraftwerke liegen damit bei über 20 Milliarden Euro.
Wollte man diese verursachergerecht umlegen, müsste man allein dafür eine Kilowattstunde des so vermeintlich günstigen
Braunkohlestroms mit sieben Cent belasten. Zählt man alle Schäden von Kohlekraftwerken zusammen, liegen diese deutlich über
zehn Cent pro Kilowattstunde. Die vermeintlich teure EEG-Umlage ist ein Schnäppchen dagegen. Während die EEG-Umlage aber
sauber auf der Stromrechnung ausgewiesen wird, tauchen die Kosten der Kohlewirtschaft nirgendwo explizit auf. Wir bezahlen
sie über Krankenkassenbeiträge, Katastrophenhilfen, Deichbaumaßnahmen – und wir bezahlen sie mit tausenden Einzelschicksalen.
Trotzdem erhält in Deutschland die Kohle eine parteiübergreifende Unterstützung. Egal ob rot-grün in Nordrhein-Westfahlen,
rot-rot in Brandenburg, schwarz-gelb oder schwarz-rot im Bund, keine Regierung hat bislang über einen Ausstiegsplan aus der
Kohlenutzung in Deutschland auch nur ansatzweise laut nachgedacht. Im Gegenteil, im letzten CDU-Wahlprogramm wurde die
Kohleverstromung als Brückentechnologie geadelt. SPD und Linke in Brandenburg wollen die Braunkohleförderung in der Lausitz
bis über das Jahr 2040 hinaus ermöglichen und pfeifen damit auf das, was ihre Parteien auf Bundesebene zum Klimaschutz verlautbaren.
Selbst die Grünen sind zum Thema Kohle seltsam ruhig, wenn es wie in NRW um eine Regierungsbeteiligung geht.
Dabei erfolgt das Bekenntnis zur Kohle in Deutschland nicht aus tiefster Überzeugung. Es geht bei der Braunkohle vielmehr
um 22.000 direkte Arbeitsplätze und damit auch um Wählerstimmen. Außerdem wird die Sorge geschürt, ein Kohleausstieg könnte
den Industriestrom verteuern und damit ebenfalls Arbeitsplätze und Wählerstimmen kosten. Aus diesem Grund wurden in den
vergangenen zwei Jahren in Deutschland über 60.000 Jobs in der Photovoltaik vernichtet. Um einen Arbeitsplatz in der Braunkohle
zu erhalten, wurden rund drei Arbeitsplätze in der Photovoltaik geopfert.
Ehrlich wäre ein sozialverträglicher Ausstiegsplan
Dabei gibt es nichts Unehrlicheres, als den Menschen in der Kohlewirtschaft Zukunftsversprechungen zu machen. Klimaschutz
und Energiewende passen mit der Kohleverstromung nicht zusammen. Es geht schon lange nicht mehr um "sowohl als auch", sondern
um "entweder oder". Ehrlich wäre es, so schnell wie möglich einen sozialverträglichen Ausstiegsplan aus der Kohlenutzung zu
entwickeln und Konsens über eine Entlastung mit Augenmaß von Industriezweigen herzustellen, die bei ansteigenden
Industriestrompreisen wirklich ihre Konkurrenzfähigkeit einbüßen. Würde der Kohleausstieg über 15 Jahre gestreckt, fielen
gerade einmal vier Braunkohle-Arbeitsplätze pro Tag weg. Rund die Hälfte der Beschäftigten in der Braunkohle würde in dem
Zeitraum sowieso in Rente gehen.
Doch eine intelligente und geordnete Energiewende ist derzeit offensichtlich von keiner Partei in Deutschland zu erwarten.
Im Strombereich werden schließlich jedes Jahr etwa 100 Milliarden Euro umgesetzt. Viele Milliarden sind in den Beton von
Kohlekraftwerken gegossen. Es ist naiv zu glauben, diese Investitionen würden kampflos in den Wind geschrieben. Eine schnelle,
geordnete und gut geplante Energiewende verkommt somit zur reinen Illusion. Dabei will eine beeindruckende Mehrheit in Deutschland
genau das: wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz und eine schnellere Systemtransformation. Dieses Potenzial gilt es auszunutzen
und den Kohleausstieg zu erzwingen. Jedes Kilowatt Windkraft und Photovoltaik ist jetzt ein gutes Kilowatt, denn es verdrängt
wieder ein weiteres Stückchen Kohle.
Die letztjährigen Rekordinstallationszahlen der Windkraft haben Fakten geschaffen, die den Energiewendegegnern die Haare
ausgehen lassen. Da haben sie mit einem politischen Kraftakt dem Photovoltaikausbau in Deutschland den Garaus gemacht und nun
boomt urplötzlich der Wind. Ausschreibungen werden den Windenergieausbau allerdings ab 2017 in die Schranken weisen. Und das
Argument fehlender Stromleitungen, die für eine schnelle Energiewende gar nicht die höchste Priorität haben, wird nachhelfen.
Möglicherweise sind dieses Jahr auch noch einmal fünf Gigawatt beim Wind drin. Wenn der ordentlich bläst, dann lassen sich damit
immerhin vier Gigawatt an Kohlekraftwerken verdrängen.
Vielleicht kriegt die Photovoltaik trotz aller pessimistischen Aussichten dieses Jahr auch die Kurve. Schließlich rechnet
sich Photovoltaikstrom dank der Eigenverbrauchsmöglichkeiten noch immer und die Renditen alternativer Geldanlagen zerrinnen
zusehends. Viele Menschen wissen aber immer noch nicht, wie billig Solaranlagen inzwischen geworden sind. Gelingt es, das
Kommunikationsproblem zu lösen, sind auch bei der Photovoltaik wieder deutlich mehr als zwei Gigawatt Zubau zu schaffen.
Neue Leitungen dienen vor allem den Kohlekraftwerken
Bei einem anhaltend starken Zubau haben wir auch eine realistische Chance, die Kohle aus dem Netz zu drängen. Bislang ging
der regenerative Ausbau vor allem zu Lasten von Gaskraftwerken. Im Dezember letzten Jahres haben regenerative Kraftwerke
kurzzeitig bereits mehr als 70 Prozent der deutschen Stromnachfrage gedeckt. Als Folge musste bereits die Stromerzeugung der
Braunkohle und Kernkraft gedrosselt werden. Erreicht die regenerative Erzeugung schon bald zeitweise 80, 90 oder 100 Prozent,
sind Grundlastkraftwerke nicht mehr in der Lage, die Schwankungen auszugleichen. Die konventionellen Kraftwerke geraten weiter
finanziell stark unter Druck und regenerative Anlagen müssen dann aus Stabilitätsgründen großräumig vom Netz gehen.
Das wird sehr anschaulich demonstrieren, dass Kohlekraftwerke eben nicht die viel beschworene Brückentechnologie sind.
Die Gegenseite baut argumentativ schon vor und versucht, den fehlenden Leitungsausbau verantwortlich zu machen. In diese
Falle sollten wir nicht tappen und öffentlich klar machen, dass die Leitungen in erster Linie für den Weiterbetrieb von
Kohlekraftwerken gebraucht werden. Ein weiteres Problem gilt es ebenfalls schnell zu lösen. Derzeit gibt es einen Grundsockel
an konventionellen Must-Run-Kraftwerken, die aus Netzstabilitätsgründen nicht vom Netz gehen können. Um wirklich die gesamte
Kohle aus dem Netz zu bekommen, müssen wir diese Kapazitäten schnellstmöglich mit regelbaren erneuerbaren Kraftwerken und
Speichern ersetzen. Hier sind die regenerativen Unternehmen und die Forschung gefragt.
Viele haben derzeit den Eindruck, dass die erneuerbaren Energien wegen der Energiewendebremse in Deutschland ziemlich am
Ende sind. Dabei ist es die Kohlewirtschaft, die kurz vor dem entscheidenden K.o. steht. Wenn jetzt jeder Einfamilienhaushalt
gut zwei Kilowatt Photovoltaik baut oder wir noch weitere fünf Jahre jeweils fünf Gigawatt Windkraft errichten, werden wir
temporär 100 Prozent erneuerbare Energien erreichen. Nutzen wir die Chance. Wir sollten die Kohle schnell und endgültig
aus dem Netz drängen, den Zukunftsstandort Deutschland erhalten und die globale Erwärmung wirksam stoppen. Machen
wir eine Energierevolution – und zwar jetzt!
Volker Quaschning
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