Als wegweisend, als Turbo oder gar als Revolution hat die amtierende Bundesregierung ihr neues Energiekonzept verkauft. Beim ersten Durchblättern stechen einem durchaus ehrenwerte Ziele ins Auge. Die erneuerbaren Energien sollen die tragende Säule der Energieversorgung werden und die Treibhausgase mindestens um 80 % reduziert werden. Je tiefer man die Details analysiert, desto mehr Zweifel kommen jedoch auf.
Das gesamte Energiekonzept basiert auf Energieszenarien, die das EWI, die GWS und die Prognos AG im Auftrag der Bundesregierung erstellt haben. Die Autoren der Szenarien sind in ihrem Fachgebiet durchaus keine Unbekannten. Bereits für frühere Regierungen hat die Prognos AG Energiereports erstellt. Hierbei hat sie allerdings stets eine realitätsfremde Einschätzung des Ausbaus erneuerbarer Energien an den Tag gelegt. Mehrmals wurde der erst für die nächsten 20 Jahre prognostizierte Ausbau erneuerbarer Energien bereits zwei oder drei Jahren nach Erscheinen der Reports übertroffen. Die Energiereports eigneten sich dann noch bestenfalls als Brennmaterial. Auch bei den Energieszenarien für das Energiekonzept folgen die Autoren dieser Tradition. Bei der Photovoltaik gehen sie beispielsweise davon aus, dass sich die installierte Leistung in Deutschland in den nächsten 40 Jahren gerade einmal verdoppeln lässt.
Wollte die Politik die prognostizierte Entwicklung wirklich durchsetzen, müsste das Ausbautempo der erneuerbaren Energien dramatisch gedrosselt werden. In der regenerativen Energiebranche schrillten daher spätestens mit dem Bekanntwerden der Details des Energiekonzepts die Alarmglocken. Seither versuchen die Regierungsparteien durch öffentliche Verlautbarungen den Eindruck der Bremser für den Ausbau erneuerbarer Energien zu widerlegen: Natürlich will man das regenerative Zeitalter, je früher desto besser. Ein Deckel für den Ausbau erneuerbarer Energien ist politisch nicht gewollt und an der Vorrangregelung für Einspeisung regenerativer Energien ins deutsche Stromnetz will man natürlich festhalten.
Wenn man auf diese Worte vertrauen will, bedeutet das allerdings, dass der rasante Ausbau regenerativer Energien - möglicherweise mit leicht gedrosseltem Tempo - vor allem bei der Stromerzeugung weitergeht. In wenigen Jahren könnten dann im Sommer und bei starkem Wind erneuerbare Energien bereits über längere Zeitabschnitte einen Großteil des deutschen Strombedarfs decken. Spätestens hier ergeben sich durch das Energiekonzept massive Probleme. Durch die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke prallt in wenigen Jahren eine unvermindert hohe Leistung aus Kernkraftwerken auf eine zeitweise extrem hohe Leistung erneuerbarer Energien. Bei einem Stromüberschuss müsste dann eine große Zahl an Kraftwerken vom Netz genommen werden. Da die Vorrangregelung für Strom aus erneuerbaren Kraftwerken gilt, wären das konsequenterweise neben Kohlekraftwerken auch Kernkraftwerke.
Technisch ergibt sich dabei aber ein Problem. Kernkraftwerke lassen sich nur sehr begrenzt regeln. Das vollständige Abschalten und das erneute Anfahren nach wenigen Stunden ist praktisch unmöglich. Um ein Kollabieren der Stromversorgung zu verhindern, müssten stattdessen paradoxerweise Solar- und Windkraftanlagen bei starkem Sonnenschein und kräftigem Wind vom Netz gehen. Die Betreiber dieser erneuerbaren Energien wären dafür dann zu entschädigen. Als Konsequenz werden die Stromkunden ihren Strom doppelt bezahlen müssen: Einmal beim Betreiber des Kernkraftwerks und ein zweites Mal für die unfreiwillig abgeschalteten Solar- und Windkraftanlagen. Die Profite der Kernkraftwerksbetreiber sind damit weiterhin garantiert. Wie so niedrigere Preise für die Endkunden zu erreichen sein sollen, bleibt aber alleiniges Geheimnis der Verfasser des Energiekonzepts. Vielleicht ist ja trotz aller Beteuerungen doch ein Abwürgen des schnellen Ausbaus regenerativer Energien fest eingeplant.
Das viel gepriesene neue Energiekonzept lässt also mehr Fragen offen als es beantwortet. Ein wirklich revolutionäres Energiekonzept sieht anders aus. Viel mehr noch: Ein wirkliches Konzept lässt sich hinter dem Energiekonzept nicht erkennen. Was wir aber heute dringender als je zuvor brauchen ist ein wirklich gutes und schlüssiges Energiekonzept, mit dem die Weichen für eine nachhaltige Energieversorgung rechtzeitig richtig gestellt werden. Auf so ein Energiekonzept warten wir allerdings schon seit 20 Jahren.