Energie­wende: Niedrigere Ticket­preise auf der Titanic durch reduzierte Zahl an Rettungs­booten

als Gastkommentar erschienen am 23.06.2014 auf dialog-energie-zukunft.de

Energierevolution Müsste man der Regierung ein Zeugnis über die aktuelle Reform des EEG schreiben würde es lauten: Sie hat sich sehr bemüht. Um angeblich die Kosten der Energiewende in den Griff zu bekommen, wird der Ausbau erneuerbarer Energien verlangsamt. Das mutet fast so an, als wollte man auf der Titanic die Ticketpreise reduzieren, indem man die Zahl der Rettungsboote verringert. Antworten auf die großen Herausforderungen fehlen aber nach wie vor.

Der letzte Bericht des Weltklimarats zeigt eine düstere Entwicklung auf. Machen wir mit unserer Energieversorgung weiter wie bisher, wird bis Ende des Jahrhunderts die weltweite Temperatur um vier bis fünf Grad Celsius ansteigen. Bis zum Jahr 2300 sind sogar acht bis zwölf Grad denkbar. Wollen wir unseren Enkelkindern keinen Wüsten­planeten hinterlassen, müssen wir den Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad Celsius begrenzen. Das gelingt aber nur, wenn wir unsere Energieversorgung in spätestens 30 Jahren vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt haben.

Ein weiteres Problem für Deutschland sind die explodierenden Ausgaben für die Importe fossiler Energieträger. Während 1998 nicht einmal 20 Milliarden Euro dafür nötig waren, sind es inzwischen über 90 Milliarden Euro pro Jahr. Internationale Krisen werden die Import­ausgaben immer weiter steigen lassen. Nur der schnelle Ausbau der Nutzung heimischer erneuerbarer Energien und die Erhöhung der Energieeffizienz können diese nicht kontrollierbare Abhängigkeit beenden.

Die Lösung für zwei der gravierendsten Herausforderungen der Zukunft ist also bekannt. Doch statt den Ausbau erneuerbarer Energien zu forcieren, soll er stark gedrosselt werden. Bei der Photovoltaik erwarten wir nach einem Zubau von 7,5 Gigawatt im Jahr 2012 nicht einmal mehr 2 Gigawatt in diesem Jahr. Über 50 000 Arbeitsplätze wurden dadurch in der Solarbranche bereits vernichtet. Auch die Biomasse- und die Windenergiebranche kämpfen mit kräftigem Gegenwind. Die angeblich nicht mehr vertretbaren Kosten der erneuerbaren Energien dienen als Argument, die Lösung der drängenden Probleme auszusetzen und stattdessen auch noch den Vorsprung Deutschlands bei wichtigen Zukunftstechnologien an asiatische Wettbewerber abzugeben.

In der Tat sind die Strompreise für Privathaushalte zwischen 2000 und 2013 um 110 Prozent gestiegen. Nur 38 Prozent gehen allerdings auf das Konto der viel gescholtenen EEG-Umlage. 72 Prozent des Anstiegs haben andere Ursachen. Allein der Steueranteil ist höher als die EEG-Umlage. Der Industriestrompreis sinkt hingegen kontinuierlich. Der VIK-Strompreisindex des Verbandes der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft lag im Juli 2008 rund 80 Prozent über den Werten von heute. Ein wirkliches Kostenproblem sieht anders aus.

Es sind vielmehr die großen Energieversorger, die mit ihrem Einfluss auf die Politik einen Tempo­rückgang beim Ausbau erneuerbarer Energien forcieren. Sie haben viel zu lange auf Kernenergie und fossile Kraftwerke gesetzt. Die erneuerbaren Energien zerstören nun dieses Geschäftsmodell. Bauen wir die erneuerbaren Energien weiterhin in hohem Tempo aus, würden viele konventionelle Kraftwerke zur Investitionsruine. Ein Großteil der Anlagen ist zudem viel zu träge, um die Fluktuationen einer Stromversorgung mit einem hohen Anteil an Solar- und Windkraft auszugleichen. Die Drosselung der Energiewende soll den Energiekonzernen nun die nötige Zeit für den Umbau verschaffen.

Angesicht der zuvor beschriebenen Probleme haben wir diese Zeit aber nicht. Wir brauchen eine Energieversorgung, die bereits im Jahr 2040 vollständig auf erneuerbaren Energien basiert. Dass dies technisch und ökonomisch funktioniert, haben verschiedene wissenschaftliche Studien wie die des Fraunhofer ISE eindeutig bewiesen. Bei der Stromversorgung wären dafür bis 2020 bereits mehr als 50 Prozent Erneuerbare nötig. Für die Integration so hoher Anteile ist vor allem der intensive Ausbau von Speichern und schnell regelbaren Reserve­kraftwerken dringend erforderlich. Der Leitungsausbau ist nicht das vordringliche Problem. Vorschläge von der Politik für adäquate Maßnahmen gibt es aber keine. Stattdessen wird wieder einmal auf das Kostenargument verwiesen.

Das wirkliche Kostenproblem verursachen aber Kohlekraftwerke. Laut Umweltbundeamt betragen die Klimafolgekosten rund 70 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Umgerechnet auf ein altes Kohlekraftwerk wären das bereits rund sieben Cent pro Kilowattstunde und damit mehr als die EEG-Umlage. Hinzu kommen die enormen Gesundheitsschäden durch die Schadstoffemissionen. Allein die Quecksilber­emissionen vieler Anlagen sind so hoch, dass sie nach amerikanischen Umweltstandards gar nicht genehmigungsfähig wären. Wir tolerieren hingegen Gesundheits­schäden in Milliardenhöhe. Doch all diese Schäden tauchen nicht auf der Stromrechnung auf. Wir begleichen sie über höhere Krankenkassenbeiträge oder allgemeine Steuerausgaben.

Für Deutschland wäre es darum auch aus finanziellen Gründen sinnvoll, einen schnellen Weg hin zu einer erneuerbaren Vollversorgung einzuschlagen. Dazu brauchen wir einen Ausstiegsplan aus der Kohle­nutzung. Bei den nötigen radikalen Änderungen müssen auch die Belange der vom Umbau Betroffenen berücksichtigt werden. Regionen mit einem starken Strukturwandel brauchen finanzielle Unterstützung. Die Spielräume dafür hätte die deutsche Politik durchaus. Doch dazu bräuchte es eine mutige und weitsichtige Regierung. Die diskutiert aber lieber über die Zahl der Rettungsboote auf der Titanic.

Volker Quaschning

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