Seit dem 30. Juni ist die Energiewende amtlich. Genauer gesagt: Der Bundesrat hat die Änderung des Atomgesetzes und die Neuregelung der
Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bestätigt. Im neuen Atomgesetz ist für alle deutschen Kernkraftwerke
ein Datum festgelegt, bis zu dem sie maximal betrieben werden dürfen. Damit ist der Ausstieg aus der Kernenergienutzung
beschlossene Sache – zumindest solange dieses Gesetz nicht wieder einmal geändert wird. Nachdem vor wenigen Monaten die
Kernenergie im Energiekonzept der deutschen Bundesregierung noch als unverzichtbare Brückentechnologie für die
nächsten Jahrzehnte galt, sollen wir nun spätestens im Jahr 2023 ganz ohne auskommen. Österreich war beim Kernenergieverzicht
gründlicher: Dort hat dieser bereits seit 1999 Verfassungsrang.
Im Zuge der Ereignisse von Fukushima ist ein ganz anderes Problem nahezu komplett von der Tagesordnung verschwunden: Der Klimawandel.
Dabei torkeln wir von einem Treibhausgasrekord zum nächsten. 2010 war das Jahr mit den bislang höchsten energiebedingten
Kohlendioxidemissionen überhaupt. Das Jahr 2011 schickt sich jetzt schon an, das Rekordjahr 2010 erneut zu überholen.
Die Klimaforscher streiten aktuell darüber, wie stark der Meeresspiegel in den nächsten 100 Jahren im Worst-Case ansteigen
wird. Auch wenn Horrorzahlen von fünf Metern nur von wenigen Experten als plausibel angesehen werden, könnte es für viele
Küstenregionen eng werden. Die einzige Abhilfe verspricht eine signifikante Reduktion der Treibhausgas-Emissionen.
Erstaunlicherweise hat sich das Energiekonzept der Bundesregierung trotz Energiewende nur wenig verändert. Immerhin gilt
es, in den nächsten elf Jahren zusätzlich gut 20 Prozent Kernenergiestrom zu ersetzen und gleichzeitig die Kohlendioxid-Emissionen
um mindestens 20 Prozent zu reduzieren.
Möchte man sich wirklich von der Kernenergie verabschieden, sind größere Anstrengungen als bisher erforderlich. Trotz
aller nicht verantwortbaren Risiken haben die in Ungnade gefallenen Meiler einen unbestreitbaren Vorteil: Ihr Strom ist weitgehend
kohlendioxidfrei. Ohne ein neues Energiekonzept könnte der Klimaschutz bei der Stromversorgung auf der Strecke bleiben.
Nach den Zielen der Bundesregierung soll der Anteil regenerativer Energien an der Stromversorgung von 17 % im Jahr 2010 nur
auf mindestens 35 % im Jahr 2020 ansteigen. Das würde zwar gerade so reichen, um rechnerisch die wegfallende Kernenergie zu
ersetzen. Für den zum Klimaschutz dringend benötigten Ersatz fossiler Kraftwerke bietet dieser verhaltene Ausbau aber keinerlei
Spielraum.
Dabei ist sogar fraglich, ob ein regenerativer Anteil von 35 Prozent mit der aktuellen Energiepolitik überhaupt zu erreichen ist.
Hierzu müsste nämlich der Zuwachs der letzten Jahre bei der regenerativen Stromerzeugung mindestens verdoppelt werden. Statt
folgerichtig die Konditionen für erneuerbare Energien zu verbessern, sieht die EEG-Novelle hingegen für die meisten regenerativen
Kraftwerke leichte Verschlechterungen vor. Die Vergütung für Windkraftanlagen an Land sinkt in den kommenden Jahren
schneller als bisher und für die Photovoltaik soll der jährliche Zubau von 7,4 GW im Jahr 2010 dauerhaft unter 3,5 GW gedrückt werden.
Wie das die Energiewende beschleunigen soll, bleibt schleierhaft.
Lediglich für Offshore-Windkraftanlagen wurden die Bedingungen verbessert. Doch im Jahr 2010 deckten Offshore-Windparks
gerade einmal 0,03 Prozent des Bruttostromverbrauchs. Die vergleichsweise geringen Installationskapazitäten machen es deswegen
mehr als unwahrscheinlich, dass die Offshore-Windenergie in absehbarer Zeit zum Taktgeber der Energiewende werden kann.
Für sehr große Offshore-Windkraftleistungen müssen außerdem noch die nötigen Leitungskapazitäten geschaffen werden, um den
Strom weit ins Landesinnere zu transportieren. Auch wenn der Netzausbau beschleunigt werden soll, ist eine Verzögerung der nötigen
Stromtrassen durch Widerstände der Bevölkerung bereits vorprogrammiert.
Eine weitere Herausforderung ergibt sich durch die Fluktuationen der regenerativen Kraftwerke. 20 Prozent zusätzlicher Strom
aus regenerativen Kraftwerken können nicht ohne weiteres 20 Prozent Kernenergiestrom ersetzen. Wenn nachts wenig Windangebot vorhanden
ist, müssen entweder Speicher oder übergangsweise noch fossile Kraftwerke die Versorgung sicherstellen.
Derzeit wird vor allem über den Neubau von Erdgas- und Kohlekraftwerken diskutiert. Gerade Kohlekraftwerke haben aber
eine verheerende Klimabilanz. Im Vergleich zu modernen Gaskraftwerken entsteht bei ihnen mehr als doppelt so viel Kohlendioxid.
Außerdem sind Kohlekraftwerke wesentlich schlechter regelbar und damit als Reservekraftwerke bestenfalls zweite Wahl. Der
Grund für die neue Liebe zur Kohle ist vermutlich in den Bemühungen entsprechender Lobbygruppen zu finden.
Dem Klimaargument wird mit der CCSTechnologie Paroli geboten. Hierbei soll das Kohlendioxid abgetrennt und unter Tage
endgelagert werden. Dass sich die CCSTechnologie durchsetzen wird, ist allein schon wegen der hohen Kosten mehr als
fraglich. Zudem sind unterirdische Kohlendioxidlagerstätten ähnlich beliebt wie atomare Endlager.
Für eine ernst gemeinte Klimapolitik kämen daher nur neue Gaskraftwerke in Frage. Diese hätten zudem den Charme, dass sie
später einmal mit Wasserstoff oder Methan betrieben werden könnten, das aus Überschüssen von regenerativen
Kraftwerken gewonnen wird.
Die Aussichten für eine wirkliche Energiewende sind alles in allem mehr als ernüchternd. Dabei schließt der Kernenergieausstieg
das Einhalten der Klimaschutzziele überhaupt nicht aus. Dazu müsste man lediglich einen regenerativen Anteil bis 2020
in der Größenordnung von 50 Prozent anstreben.
Die einzig realistische Option, um einen derart großen Zubau zu realisieren, wäre ein massiver Ausbau der Photovoltaik und der
Windkraftnutzung an Land. Im Gegensatz zur Offshore-Windenergie ließen sich hier sehr schnell die nötigen Aufstellungszahlen
erreichen. Eine moderate Verbesserung der Bedingungen im EEG würde dafür ausreichen. Damit wäre dann aber nicht nur der
Wechsel der Versorgungsart, sondern auch der Versorger vorprogrammiert. Genau dies ist aber offensichtlich politisch nicht
gewünscht.
Bei kleineren dezentralen Photovoltaik- und Windkraftanlagen konkurrieren die großen Energieversorgungsunternehmen mit
Privatinvestoren, die sich mit Renditen von 6 bis 8 Prozent zufrieden geben. Für die Energieriesen
gelten aber erst Investitionen mit zweistelligen Renditen als wirklich interessant. Die derzeitige Fokussierung auf die
Offshore-Windenergie ist daher als Entgegenkommen an die gebeutelten Energieversorger zu verstehen. Aufgrund der Projektgröße
bleiben sie hier auch künftig weitgehend unter sich. Auch der Bau neuer großer Kohlekraftwerke wäre weiterhin eine
Domäne der großen Versorger.
Für das schnelle Umsetzen einer klimafreundlichen, dezentralen, regenerativen Energieversorgung wären hingegen kleinere
dezentrale Gaskraftwerke und dezentrale Speicher als Backuplösung optimal geeignet. Doch auch diese Alternativen gingen
wieder zu Lasten der Marktanteile der großen Versorger.
Um bereits in den nächsten Jahren die nötigen Speicherkapazitäten zu schaffen, kommen derzeit eigentlich nur Batteriespeicher
in Frage. Andere Technologien wie Druckluftspeicher oder Methanisierungsanlagen haben momentan noch nicht die volle
Marktreife erlangt, bieten aber mittelfristig ein großes Potenzial. Als positiver Nebeneffekt würden bei einer dezentraleren Lösung
auch weniger Leitungsneubauten benötigt.
Allen politischen Bekenntnissen zum Trotz werden wir schon bald wieder um ein neues Energiekonzept ringen. Mit der aktuellen
Energiepolitik wird sich der versprochene Kernenergieausstieg bei gleichzeitigem Klimaschutz kaum realisieren lassen.
Wir haben in den letzten Monaten zwar viele Revolutionen im Energiebereich präsentiert bekommen. Auf eine Revolution mit einem
schlüssigen Konzept müssen wir aber offensichtlich immer noch warten.
Eine Vielzahl an Artikeln behandelt aktuelle Themen der Energiepolitik, des Klimaschutzes und des Einsatzes erneuerbarer Energien.
In verschiedenen Print-, Radio- und TV-Interviews nimmt Volker Quaschning Stellung zu aktuellen Fragen über die Energiewende und eine klimaverträgliche Energieversorgung.
Die weltweite Elektrizitätserzeugung regenerativer Kraftwerke steigt kontinuierlich an: Sie ist nun rund viermal so groß wie die der Kernkraft. Im Jahr 2023 konnte bereits über ein Drittel des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien bereitgestellt werden. Moderne Anlagen auf Basis von Wind und Sonne laufen bald der klassischen Wasserkraft den Rang ab.
Die Kohlendioxidemissionen in Deutschland sind im Jahr 2023 gesunken: Gutes Wetter und schlechte Konjunktur sind die Treiber. Doch schon für 2024 wird von einem erneuten Anstieg der Treibhausgas-Emissionen ausgegangen. Das Einhalten der deutschen Klimaschutzziele für die Jahre 2030 und 2045 ist derzeit unrealistisch.
Warum torpedieren CDU, Markus Söder und die ÖVP ungeniert den Klimaschutz und riskieren mit der Forderung nach einem Stopp des EU-Verbrenner-Aus die Zerstörung der europäischen Autoindustrie? Deren Zukunft entscheidet sich nämlich ganz woanders.