In der Solarenergiebranche herrschen angesichts der massiven Kürzungen bei der EEG-Vergütung nicht ohne Grund
Wut und Entsetzen. Es ist zeichnet sich ab, dass der Photovoltaikmarkt in der zweiten Jahreshälfte 2012 signifikant einbrechen
wird. Auch wenn die Kürzungen einem Kniefall vor den Energiekonzernen gleichkommen und das Erreichen eines effektiven
Klimaschutzes torpedieren, kann man der Regierung zumindest nicht vorwerfen, sie würde ihre Versprechen brechen oder gar
hinterhältig die Solarenergie abwürgen. Wer sich die bisherigen Konzepte und Ankündigungen der Regierung angeschaut hat,
musste mit entsprechenden Kürzungen rechnen.
Im Jahr 2010, noch vor dem Fukushima-Unglück, stellte die Regierung ein seinerzeit als revolutionär gepriesenes Energiekonzept
vor. Dieses sah Kohle- und Kernkraftwerke als Brückentechnologien für das regenerative Energiezeitalter vor. Die Brücke für die
Kernenergie sollte mit Laufzeitverlängerungen erheblich ausgebaut werden. Nach dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss hatten die
Energiekonzerne jahrelang auf diese Entscheidung hingearbeitet und schließlich mit Hilfe der schwarz-gelben Regierung durchgesetzt.
Begleitend zum Energiekonzept wurden Vorstellungen für den Ausbau erneuerbarer Energien veröffentlicht. Danach sollte
bis zum Jahr 2020 der Ausbau der Photovoltaik auf 33,3 GW vorangetrieben und bis zum Jahr 2030 nur noch unwesentlich auf
37,5 GW gesteigert werden. Im Hinblick auf die gewünschten Laufzeitverlängerungen waren diese Zahlen durchaus schlüssig. Ab
einer installierten Photovoltaikleistung von ca. 35 GW deckt die Photovoltaik nicht nur Spitzenlast ab, sondern verdrängt mittags
zunehmend Grundlastkraftwerke, die ja noch lange als Brücke dienen sollten.
Mit Fukushima kam der Ausstieg aus dem Ausstieg. Interessanterweise wurde trotz Energiewende weder ein neues Energiekonzept
vorgelegt noch die Ausbauzahlen für die Photovoltaik grundlegend geändert. Da nun einige Kernkraftwerke dauerhaft abgeschaltet
waren, wurden die Ziele für die Photovoltaik leicht erhöht. Seitdem gibt es einen Zielkorridor mit einem jährlichen Zubau
zwizwischen 2,5 und 3,5 GW. Der atmende Deckel sollte durch empfindliche Kürzungen zu hohe Ausbauzahlen auf diese Werte drücken.
Immerhin wären damit gut 50 GW im Jahr 2020 möglich gewesen. Mit dem nationalen Aktionsplan für erneuerbare Energie hat die
Bundesregierung dann auch 51,8 GW an erwarteter Photovoltaikleistung für das Jahr 2020 bei einem jährlichen Zubau von 3,5 GW
nach Brüssel gemeldet. Die Dämpfung des Marktes gelang aber nur bedingt. 7,5 GW wurden im Jahr 2011 installiert und damit
waren Anfang 2012 bereits 25 GW am Netz.
Bei einem weiteren derartigen Zubau würde die Photovoltaik aber bereits sehr schnell auf die Grundlast drücken und den
Betrieb von Braunkohle- und Kernkraftwerken zunehmend unwirtschaftlich machen. Spätestens mit der schon recht hohen Netzeinspeisung
aus Photovoltaikanlagen im Jahr 2011 dürfte das auch den Energieriesen, die lange Zeit die Photovoltaik belächelt
haben, bewusst geworden sein. Seitdem wurde massiv gegen einen Zubau in dieser Höhe gearbeitet, mit dem bekannten Erfolg.
Was die Solarbranche sträflich vernachlässigt hat, ist eine Vision der Photovoltaik für höhere Zubauzahlen auch über das Jahr
2020 hinaus aufzubauen. Die Roadmap des BSW-Solar endet bei 52 GW im Jahr 2020 und lässt die fernere Zukunft im Nebulösen.
Mehr als 3,5 GW/a wären damit auch nicht drin. Die Leitstudie 2010 und 2011 des Bundesumweltministeriums und das Sondergutachten
des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) aus dem Jahr 2011 sehen auch keine Zubauzahlen, die höher liegen. Ein großer Protest gegen
diese Publikationen war aus der Solarbranche seinerzeit kaum zu hören. Für Viele ist es daher wenig nachzuvollziehen, dass
die Branche nun krampfhaft zu erklären versucht, warum ein Zubau in der Größenordnung von 7,5 GW/a dennoch richtig sein kann
und gar noch fortgesetzt werden sollte. Der jährliche Zubau von 3,5 GW war von der Branche ja zuvor abgenickt worden, ganz
nach dem Motto: Merkt ja keiner, wenn wir trotzdem mehr bauen.
Dabei haben alle Szenarien, die nicht mehr als 3,5 GW/a an Photovoltaik vorsehen, eines gemeinsam: Bei ihnen beträgt der Anteil der
Photovoltaik auch langfristig kaum mehr als 10 %. Daher werden sie es nicht schaffen, eine nachhaltige Energieversorgung bis zum
Jahr 2040 zu realisieren. Nach eindringlichen Empfehlungen von Klimaforschern sollte unsere Energieversorgung aber bis
spätestens 2040 kohlendioxidfrei sein und damit zu 100 % auf erneuerbaren Energien basieren, wenn wir die Klimaerwärmung
noch irgendwie im vertretbaren Rahmen halten wollen. Eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 °C wird auch vom Umweltministerium
als Ziel gerne postuliert – ohne allerdings die nötigen Maßnahmen dafür zu ergreifen. Ohne einen PV-Anteil, der deutlich
über 10 % hinausgeht, wären für einen wirksamen Klimaschutz kurzfristig sehr hohe Windkraft-, Biomasse oder Importstromanteile
nötig, die sich in der verbleibenden Zeit kaum noch realisieren lassen.
Um einen effektiven Klimaschutz bis 2040 realisieren zu können, brauchen wir daher deutlich mehr als 100 GW an Photovoltaikleistung.
Ohne massiv auf Freiflächen zurückzugreifen, könnte man in Deutschland problemlos 200 bis 250 GW errichten
und damit ca. 30 % der Stromversorgung decken. Dafür müssten aber 8 GW/a und nicht nur 3,5 GW errichtet werden. Bei so
hohen Ausbauzahlen werden aber selbst Verfechter der Photovoltaik blass. Es drängt sich nämlich sofort die Frage auf, wie solch
große Leistungen in das Netz integriert werden sollen. Eines ist ganz klar: Ein schneller Photovoltaikausbau wird ohne neue Gaskraftwerke
und Speicher nicht funktionieren. Bereits die Integration von 50 GW ins Netz wird anspruchsvoll. Soll der Zubau darüber
hinausgehen, verdrängt die Photovoltaik Braunkohle- und Kernenergie-Grundlastkraftwerke aus dem Netz. Diese möglichst
schnell loszuwerden, ist zwar umwelt- und klimapolitisch sinnvoll, wir brauchen dann aber dringend Alternativen, um die Stromversorgung
auch nachts sicherzustellen.
Mit dem Zubau der Photovoltaik müssen daher schnellstmöglich Reservekraftwerke auf Erdgasbasis sowie Batteriespeicher und
später auch Elektrolyseeinheiten für die Nutzung der Stromüberschüsse errichtet werden. Außer ein paar netten Absichtserklärungen
passiert in dieser Richtung derzeit aber nicht viel. Momentan verdrängt die Photovoltaik sogar noch die Spitzenlast und damit die
Kraftwerke, die künftig dringend benötigt werden. Der erforderliche Zubau von Gaskraftwerken findet daher nicht im nötigen
Umfang statt. Bei zunehmendem Ausbau der regenerativen Energien werden sich Gaskraftwerke durch die zunehmenden Schwankungen
zwar recht bald wieder rechnen. Bis dahin wäre aber ein Markteinführungsprogramm für diese Kraftwerke und für neue
Speicher dringend von Nöten, um nicht in wenigen Jahren die Energiewende aus technischen Gründen auf Eis legen zu müssen.
Viel schlimmer als das Ausbremsen den Photovoltaikmarktes durch die Regierung ist das fehlende Energiekonzept und der mangelnde
Mut der Regierung, sich zeitnah von nicht mehr benötigten Technologien wie der Braunkohle und der Kernenergie zu verabschieden
und dringend benötigte Gaskraftwerke und Speicher in den Markt einzuführen. Mit der jetzigen Energiepolitik setzen wir
nicht nur die Erfolge der Solarenergiebranche aufs Spiel. Wir erreichen damit auch nicht die Klimaschutzziele und könnten in
wenigen Jahren nicht einmal mehr eine zuverlässig funktionierende Stromversorgung haben.
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