Hurra, das Öl ist billig

Zeitschrift neue energie

erschienen in neue energie 02/2015, S.40-43.

Seit Mitte 2014 hat sich der Ölpreis glatt halbiert. Einige Analysten sehen schon die langanhaltende Zeit des billigen schwarzen Goldes. Dabei hat sich beim Öl nichts Entscheidendes geändert. Die Ölvorkommen sind begrenzt und die Nachfrage steigt nach wie vor. Bis der Ölpreis wieder nach oben schnellt, ist es nur eine Frage der Zeit. Die erneuerbaren Energien müssen nun die Zeit nutzen und sich für das Nachölzeitalter in Stellung zu bringen.

Ganz zu Beginn dieser Kolumne muss ich gestehen, dass ich in Sachen Ölpreisentwicklung kein guter Ratgeber bin. Im Jahr 2002 schloss ich mit einem guten Bekannten bei einem Besuch der spanischen Solarforschungseinrichtung in Almería eine Wette hinsichtlich der Ölpreisentwicklung ab. Er setzte auf einen Anstieg der Ölpreise innerhalb von zwei Jahren auf 50 Dollar pro Barrel. Angesichts der Tatsache, dass der Ölpreis damals bei 25 Dollar lag und dass er sich seit den Ölkrisen der 1980er Jahre im Jahresmittel sogar meist deutlich darunter befand, war das durchaus eine gewagte These. Ich setzte dagegen und hoffte, die Wette zu verlieren.

Eigentlich sollte sich jeder über steigende Ölpreise freuen. Als Konkurrent der regenerativen Energien und als Klimakiller Nummer zwei nach der Kohle ist der fossile Leitenergieträger Erdöl auch Ursache vieler Probleme unserer Erde. Natürlich schmerzen einen hohe Ölpreise als Autofahrer auch im eigenen Geldbeutel. Wer aber Wert auf ein nachhaltiges Leben legt, empfindet das als gerechte Strafe für einen Lebensstil auf Kosten künftiger Generationen.

Ein Durchschnitts-PKW in Deutschland verursacht bei der Verbrennung von Benzin und Diesel allein rund zwei Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid pro Jahr und damit mehr als ein Einwohner Indiens insgesamt. Die Ölförderung verursacht in regelmäßigen Abständen gigantische Umwelt­katastrophen, und für den Zugriff auf die knapper werdenden Ölvorräte mussten bereits Zigtausende Menschen in Kriegen ihr Leben lassen. Wie ein Junkie hängen wir am Öltropf, kennen die negativen Folgen unserer Sucht und kommen doch nicht davon los. Nur ein hoher Ölpreis kann diese Sucht beenden.

Genau zwei Jahre nach unserer Wette lag der Ölpreis bei über 49 Dollar, wenige Wochen später überschritt er tatsächlich die 50-Dollar-Marke. Auch wenn ich formal die Wette nicht verloren hatte, fühlte ich mich nicht als Gewinner. Eine Verdopplung des Ölpreises innerhalb von zwei Jahren hatte ich mir seinerzeit nicht annähernd vorstellen können. Als Konsequenz einigten wir uns hinsichtlich der Wette auf Unentschieden.

Bis Mitte des Jahres 2008 hatte sich der Ölpreis im Vergleich zu 2002 mit 145 Dollar pro Barrel fast versechsfacht. Einige Experten rechneten damals sogar mit einem Anstieg auf über 200 Dollar. Statt konsequent auf Energiesparen und erneuerbare Energien zu setzen, wurde seinerzeit ernsthaft eine staatliche Stützung des Ölpreises diskutiert. Bevor es dazu kam, beendete die Weltwirtschaftskrise jedoch das Preiskarussell. Dennoch brachte diese Hochpreisphase die erneuerbaren Energien als Alternative weit voran und legte möglicherweise sogar mit die Wurzeln für den folgenden Photo­voltaik­boom. Für unsere netzgekoppelten Windkraft- und Photovoltaikanlagen ist Erdöl kein wichtiger Konkurrent. Hier gilt es eher, die Kohle zu besiegen. Ölkraftwerke sind zumindest in Deutschland unbedeutend.

Die Folge eines gigantischen Spiels

Bei kleinen Inselnetzanlagen und im Wärmebereich dominiert hingegen weltweit momentan noch meist das Erdöl. Und hier hat es mit den stark gesunkenen Kosten der Photovoltaik in den letzten drei Jahren durchaus eine bemerkenswerte Trendwende gegeben. Bei einem Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel mit leichten Schwankungen zwischen 2011 und Mitte 2014 konnte die Photovoltaik im Bereich Stromerzeugung mehr als gleichziehen. 100 Dollar pro Barrel bedeuten rund 63 Cent pro Liter oder mehr als sechs Cent pro Kilowattstunde Heizwärme. Nun muss das Rohöl noch zu Diesel verarbeitet und vor Ort gebracht werden. Der Wirkungsgrad von Dieselgeneratoren liegt je nach Leistung und Generatorqualität zwischen zehn und 40 Prozent. Damit bewegen sich dann allein die Brennstoffkosten für eine Kilowattstunde Dieselgeneratorstrom zwischen 20 und 80 Cent. Ein Bereich, den Photovoltaik- und Windkraftanlagen inzwischen weltweit spielend erreichen und dabei nicht nur sich selbst, sondern in vielen Fällen auch noch einen Batteriespeicher mitfinanzieren können.

Das vollständige Aufrollen des Offgrid-Marktes durch erneuerbare Energien war damit nur noch eine Frage der Zeit. Von Mitte 2014 bis Anfang dieses Jahres ist der Ölpreis allerdings unter 50 Dollar pro Barrel gefallen. Die klaren wirtschaftlichen Vorteile von regenerativen Inselnetzsystemen sind damit in vielen Gebieten passé. Verharrt der Preis länger auf diesem Niveau, werden viele Erneuerbaren-Projekte im Off-Grid-Bereich stark unter Druck geraten. Auch für andere Unternehmen aus der regenerativen Energiebranche und Hersteller von Elektromobilen dürfte die Geschäftssituation schwieriger werden. Durch den niedrigen Ölpreis steigt außerdem auch die Nachfrage, und das ist nicht gut für den Klimaschutz.

Nun sind Preisstürze beim Erdöl kein singuläres Ereignis. In der zweiten Jahreshälfte 2008 fiel der Ölpreis von 145 Dollar auf gerade einmal noch 40 Dollar. Damals trieb aber die Weltwirtschaftskrise den Ölpreis nach unten und mit der wirtschaftlichen Gesundung zog der Ölpreis rasch wieder an. Heute stottert zwar die Weltwirtschaft, sie befindet sich aber nicht in einer ernsten globalen Krise wie 2008. Für den aktuellen massiven Preissturz gibt es noch andere Ursachen. Die traditionellen Ölförderländer wollen die neue Konkurrenz in Nordamerika aus dem Markt drängen und die Ölgiganten fürchten den endgültigen Siegeszug der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität. Spekulanten wittern das Geschäft und verstärken wieder einmal die Kursbewegungen. Halbiert und verdoppelt sich der Ölpreis in kurzer Zeit, gibt es als Folge ein paar neue Milliardäre mehr auf der Erde.

Insofern ist der Absturz des jetzigen Ölpreises eher die Folge eines gigantischen Spiels, bei dem nicht ganz klar ist, wer am Ende die Gewinner sein werden. Amerika profitiert beispielsweise auf der einen Seite von den niedrigen Ölpreisen, da ungeliebte Regierungen wie im Iran oder Russland hart getroffen werden und die Aufwendungen für Ölimporte sinken. Auf der anderen Seite gehören die USA immer noch zu den drei größten ölproduzierenden Ländern der Erde. Unterstützt durch die hohen Ölpreise haben die USA in den letzten Jahren eine neue Strategie zur Sicherung der Energierohstoffversorgung entwickelt. Diese lautet: „Drill baby, drill.“. Während George W. Bush das Problem noch militärisch lösen wollte, wird die Ölversorgung mittlerweile wieder verstärkt durch eigene Bohrungen gedeckt. Bei Preisen von 100 Dollar rechnen sich auch die Erschließung unkonventioneller Vorkommen wie Ölsande und neue Fördermethoden wie Fracking.

Das Vertrauen in Fracking sinkt

In den vergangenen Jahren wurden dreistellige Milliardenbeträge ohne Rücksicht auf die Umwelt in amerikanische Erdlöcher investiert. Bei den heutigen Ölpreisen entwickeln sich aber viele der jüngsten Investitionen zum finanziellen Desaster. Erste Unternehmen mussten bereits dicht machen. Damit trifft der niedrige Ölpreis auch massiv amerikanische Unternehmen und Investoren. Die großen Ölkonzerne chartern inzwischen zunehmend Supertanker, um einen Teil ihrer Vorräte auf hoher See über die Niedrigpreisphase zu bringen. Sehr lange kann diese Strategie nicht aufgehen. So könnten die traditionellen Ölförderländer tatsächlich einen Teil der ungeliebten Konkurrenz in Nordamerika loswerden. Viele ölexportierende Länder haben aber ihre Staatshaushalte auf Ölpreise oberhalb von 80 Dollar ausgelegt.

In Russland herrscht bereits die größte Wirtschaftskrise seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Andere Ölstaaten werden folgen. Die importabhängigen Länder profitieren erst einmal von der Entwicklung, wenn ihre Wirtschaft nicht wie in Deutschland wiederum von Geschäften mit Ölförder­ländern abhängig ist, die immer weniger Geld für ihre Einkaufstouren haben. Vieles spricht also dafür, dass kaum jemand Interesse an einer lang anhaltenden Niedrigpreisphase haben dürfte und diese schon in absehbarer Zeit vorüber ist. Früher oder später werden die Ölpreise letztendlich wieder spürbar anziehen. Die Vorkommen, die bei den niedrigen aktuellen Preisen wirtschaftlich erschließbar sind, können längerfristig den Bedarf nicht decken.

Jede Woche, die der Ölpreis im Keller verharrt, hilft aber Vertrauen und Geschäftsmodelle von unkonventionellen Ölfördervorhaben zu zerstören und damit den Umstieg auf klimaverträgliche Alternativen zu beschleunigen. Je länger die Niedrigpreisphase dauert, desto größere Auswirkungen wird das also auf die Erschließung von teuren und unkonventionellen Vorkommen haben. Wer sich einmal bei diesen Geschäften die Finger verbrannt hat, wird erst wieder bei deutlich höheren Rendite­chancen einsteigen. Höhere Renditen bedeuten aber auch höhere Preise. Beim nächsten Anstieg könnte der Ölpreis damit spürbar über das Niveau von 100 Dollar klettern. Die psychologischen Effekte davon sollte man nicht unterschätzen. Der Mensch gewöhnt sich schnell an Überfluss und niedrige Preise. Sinkt der Ölpreis von 100 auf 45 Dollar und schnellt dann wieder auf 150 Dollar nach oben, ist die Wirkung eine ganz andere, als wenn der Ölpreis lediglich ganz langsam von 100 auf 150 Dollar steigt.

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass der nächste Ölpreisanstieg dann tatsächlich den erneuer­baren Energien und der Elektromobilität zum endgültigen Durchbruch verhilft. Nur so kann es uns gelingen, einen Teil der Ölvorkommen im Boden zu lassen und somit nicht das Klima zu ruinieren. Die erneuerbaren Energien müssen nun die Zeit nutzen und sich für das Nachölzeitalter in Stellung bringen. Ich habe mich entschieden. Ich finde den Absturz des Ölpreises erst einmal gut. Nun muss er möglichst bald wieder neue Rekordstände erreichen. Auf einen lange anhaltenden niedrigen Ölpreis würde ich diesmal keinen Cent wetten.

Volker Quaschning

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