Doppelte Stromkosten durch Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken?
Die von der Bundesregierung vorgesehene Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke soll als Brücke
ins regenerative Zeitalter dienen und niedrigere Strompreise für den Endkunden bringen. Es ist jedoch zu befürchten,
dass diese Strategie den Solarenergieboom ausbremst und sogar zu einer Erhöhung der Strompreise führt.
Der Ausbau der regenerativen Energien geht schnell voran. Die Photovoltaik bricht im Jahr 2010 wieder alle Rekorde.
Rund 18 bis 20 Gigawatt werden Ende 2010 in Deutschland installiert sein und es ist nicht zu erwarten, dass dieser Ausbau
im Jahr 2011 einen deutlichen Einbruch erlebt. Damit könnte die Photovoltaik in Deutschland 2011 schon mehr
Strom liefern als die Wasserkraft. Vielmehr noch, die installierte Photovoltaikleistung wird bereits im
Frühjahr 2011 die Bruttoleistung der Kernkraftwerke in Deutschland übersteigen. Zwar wird die eingespeiste Strommenge
noch unter der der Kernenergie bleiben, da Photovoltaikanlagen anders als Kernkraftwerke nicht rund um die Uhr laufen.
Bei voller Sonne werden aber Photovoltaikanlagen dann schon mehr Strom ins Netz einspeisen als die nukleare Konkurrenz.
Die Photovoltaik hat sogar das Potenzial bereits in wenigen Jahren zu einer tragenden Säule der deutschen
Elektrizitätswirtschaft zu werden. Ein Anteil von 20 bis 30 Prozent an der Stromerzeugung in den nächsten 20 bis 30 Jahren
ist technisch denkbar und auch unter ökonomischen Aspekten durchaus eine sinnvolle Option. Unter allen
Stromerzeugungsvarianten weist die Photovoltaik nämlich die mit Abstand höchsten jährlichen Kostensenkungen auf.
Das im September dieses Jahres veröffentlichte Energiekonzept der Bundesregierung sieht indes für das Jahr 2030
lediglich eine installierte Photovoltaikleistung von 37,5 Gigawatt vor. Aus heutiger Sicht ist es aber nicht
unwahrscheinlich, dass diese Leistung bereits in drei Jahren Realität wird - 17 Jahre früher als von der Bundesregierung
prognostiziert. Mit der Erstellung des Energiekonzepts war unter anderem die Prognos AG beauftragt. Diese hat in einer
neuen Studie für den Bundesverband Solarwirtschaft BSW ihre Zahlen inzwischen radikal nach oben korrigiert.
Danach werden nun bis zu 70 Gigawatt Photovoltaikleistung alleine bis zum Jahr 2020 als möglich erachtet.
Dies bedeutet aber enorme Herausforderungen für die Elektrizitätswirtschaft und lässt die geplante Laufzeitverlängerung
von Kernkraftwerken unter einem ganz anderen Licht erscheinen.
Grundlastkraftwerke sind schlecht regelbar
Durch den extrem schnellen Ausbau der Photovoltaikleistung wird es bereits in wenigen Jahren schwierig,
die Kernkraftwerke in Deutschland wie bisher weiterzubetreiben. Laufen dann an einem schönen Sommertag
alle Photovoltaikanlagen nahezu mit voller Leistung, speisen sie erheblich mehr in das Netz als bislang alle
Kernkraftwerke zusammen. Damit würde aber mehr Strom produziert als sich verbrauchen lässt.

Reale Entwicklung der PV-Leistung (für 2011: eigene Abschätzungen) sowie Annahmen des Energiekonzepts der Bundesregierung und den Szenarien des BSW im Vergleich zur Kernkraftwerksleistung
Gesetzlich gilt in Deutschland der Vorrang für erneuerbare Energien. Das bedeutet, die Leistung der
Kernkraftwerke müsste entsprechend gedrosselt oder gar komplett zurückgefahren werden, um dem Solarstrom den Vorzug zu geben.
Eines ist allerdings bei der Solarstromerzeugung sicher: Nach dem Tag kommt immer wieder die Nacht. Wurden Kernkraftwerke
wegen der hohen Photovoltaikleistung tagsüber vollständig vom Netz genommen, müssten sie nachts wieder volle Leistung liefern.
Kernkraftwerke lassen sich zwar in gewissen Bandbreiten regeln. Aus sicherheitstechnischen Gründen ist diese extreme
Betriebsweise aber nicht möglich. Es droht ein Zusammenbruch der Stromversorgung, wenn Kernkraftwerke abends nicht mehr
schnell genug ans Netz gehen können.
Backup-Kraftwerke benötigt
Eigentlich würden anstelle der nicht ausreichend regelbaren Kernkraftwerke dringend besser regelbare Backup-Kraftwerke
zum Beispiel auf Basis von Biomasse, Geothermie und übergangsweise auch Erdgas sowie neue Speicher als Ergänzung zu
den Photovoltaik- und Windkraftanlagen benötigt. Studien verschiedener Forschungseinrichtungen zeigen, dass so eine
Versorgungssicherheit auch bei einem hohen Anteil von Solar- und Windstrom in Deutschland gewährleistet werden könnte.
Durch den Beschluss zur Laufzeitverlängerung werden aber diese fehlenden Kraftwerkskapazitäten nicht im benötigten
Maße errichtet, da die Investitionssicherheit dafür fehlt. Um nicht den Zusammenbruch der Stromversorgung zu riskieren,
bleibt nur die Möglichkeit: Künftig müssen Photovoltaikanlagen bei voller Sonne vom Netz gehen, um den Weiterbetrieb der
Kernkraftwerke zu gewährleisten. Die "ungewollt" abgeschalteten Solaranlagen müssen nach aktueller Gesetzeslage dann für
den Ausfall entsprechend entschädigt werden. Die Stromkunden bezahlen in diesem Fall ihren Strom doppelt: Einmal als
Vergütung für den vermeintlich billigen Kernenergiestrom und ein zweites Mal als Entschädigung für die heruntergeregelten
Solarkraftwerke. Für die Betreiber von Kernkraftwerken wird dies erst einmal kaum negative wirtschaftliche Folgen haben.
Sie können sich auf die Versorgungssicherheit berufen, ihre eigentlich nicht mehr benötigten Anlagen weiterbetreiben und
so auch künftig hohe Gewinne einfahren. Die Stromkunden müssen hingegen die Rechnung bezahlen. Die Laufzeitverlängerung
wird für sie unweigerlich zu Mehrbelastungen führen.
Vertreter aus der Branche der erneuerbaren Energien warnen schon seit längerem vor dieser Entwicklung. Spätestens
mit den ersten zuverlässigen Schätzungen der Photovoltaikzubauzahlen für das Jahr 2010, müsste auch die Politik diese
Problematik verstehen. Die jetzige Bundesregierung befindet sich dadurch allerdings in einem Dilemma. Weil das Energiekonzept
auf absolut falschen Annahmen für den Zubau erneuerbarer Energieanlagen basiert, müsste sie eigentlich die Entscheidung
zur Laufzeitverlängerung aus rein pragmatischen Gründen überdenken und letztendlich wieder revidieren. Durch solch einen
Schritt würde sie allerdings erheblich an Glaubwürdigkeit verlieren. Insofern muss und wird sie konsequenterweise am
fragwürdigen Ausstiegsbeschluss festhalten.
Fehleinschätzung durch die Politik
Es bleibt die Frage, welche Konsequenzen durch die dramatischen Fehleinschätzungen auf uns zukommen. Als
wahrscheinlichstes Szenario gilt, dass der Ausbau der Photovoltaik erst mal weiter vorangeht und tatsächlich Solaranlagen
bei hohem Sonnenangebot immer öfter vom Netz genommen werden. Ob der Bevölkerung vermittelt werden kann, dass diese
Entwicklung sinnvoll ist, bleibt fraglich - Denn wer bezahlt schon gerne seinen Strom doppelt?
Eine weitere Option wäre, den Ausbau der Photovoltaik deutlich zu drosseln oder gar komplett einzustellen. Ganz einfach
wird dieses Unterfangen allerdings auch nicht. Bereits in diesem Jahr sollte durch massive Kürzungen der Vergütung der
Zubau der Photovoltaik gezügelt werden. Die Photovoltaikbranche musste 2010 immerhin Kostensenkungen um 25 Prozent verkraften.
Zum Jahreswechsel folgt erneut eine Absenkung der Vergütung um 13 Prozent und für das Jahr 2012 reduziert sich diese
voraussichtlich noch einmal um 21 Prozent.
Trotz dieser massiven Rückführung der Vergütung von über 50 Prozent in nur drei Jahren ist akut kein Zusammenbrechen des
Photovoltaikmarkts zu erwarten. Bliebe ein Deckel, der den Zubau der Photovoltaik ganz klar begrenzt. Um die
Laufzeitverlängerung der Kernenergie abzusichern, müsste der Photovoltaikmarkt auf etwa 10 Prozent des heutigen Volumens
geschrumpft werden. Die Regierung betont allerdings, sie wolle den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland fortsetzen.
Auch mit dieser Maßnahme würde sie ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Ein guter Weg, um Wählerstimmen zurückzugewinnen,
wäre das sicher auch nicht. Denn in Umfragen spricht die Mehrheit der Bevölkerung für einen weiteren schnellen Ausbau
erneuerbarer Energien aus.
Die Gegner der Solarenergie werden im nächsten Jahr dennoch versuchen, für solch einen Weg Schützenhilfe zu geben.
Sie werden massiv auf die Kostenkarte setzen und das Schreckgespenst horrender Energiepreise an die Wand malen. Der starke
Zubau der Solarenergie bis Ende 2011 wird tatsächlich den Strompreis spürbar nach oben treiben. Die EEG-Umlage wird weiter
deutlich ansteigen. Die Diskussionen im Jahr 2010 dazu waren nur ein kleiner Vorgeschmack auf die kommenden harten
Auseinandersetzungen. Würde man den Ausbau der Photovoltaik im Jahr 2012 komplett stoppen, dürfte sich an der
Strompreiskostenentwicklung allerdings nicht wirklich viel ändern. Die Kosten für die bereits errichteten Anlagen fallen
weiterhin an und durch die massiven Absenkungen der Vergütung würde ein Zubau in den Jahren ab 2012 kostenmäßig
bei weitem nicht mehr so stark ins Gewicht fallen. Insofern dürfte die Kostendiskussion daher eher ein Scheingefecht sein,
um letztendlich die Laufzeitverlängerung argumentativ zu verteidigen.
Arbeitsplätze gefährdet
Ein Abwürgen des deutschen Photovoltaikmarkts hätte aber erhebliche weitere politische Risiken. Momentan macht der
deutsche Photovoltaikmarkt mehr als die Hälfte des Weltmarkts aus. Die Märkte in anderen Ländern wachsen zwar auch
kontinuierlich. Ein Zusammenbrechen des Photovoltaikmarkts in Deutschland könnte der Weltmarkt aber kurzfristig nicht
auffangen. Zahlreiche deutsche Solarunternehmen wären vom wirtschaftlichen Aus betroffen und damit auch eine Vielzahl der
80.000 deutschen Arbeitsplätze in dem Bereich.
Einen Großteil der Förderung für die Solarenergie der vergangenen Jahre, die auch den Aufbau der heimischen
Solarindustrie beabsichtigte, wäre dann wirklich extrem schlecht investiert. Ob die Landesregierungen der Bundesländer,
die derzeit stark vom Photovoltaikausbau profitieren, diese Botschaft ihren Bürgen vermitteln wollen, bleibt ebenfalls
fraglich. So oder so, wir werden im nächsten Jahr erhebliche Gefechte um den Ausbau der Solarenergie erleben.
Der Ausgang ist offen. Möglicherweise wird die Solarenergie um Jahre ausgebremst und die deutsche Solarindustrie massiv
beschädigt. Vielleicht kommt es aber auch zu einem letzten Aufbäumen der Atomindustrie. Spätestens mit der nächsten
Bundestagswahl ist nämlich auch denkbar, dass die Restlaufzeiten für Kernkraftwerke noch unter die des rot-grünen
Ausstiegsbeschlusses zurückgefahren werden. Für eine sichere Stromversorgung wird die Kernenergie dann voraussichtlich
schon nicht mehr benötigt. Das Aufkündigen des Ausstiegskonsenses könnte damit auch für die Betreiber von Kernkraftwerken
zu einem Bumerang werden.
Kleine Brötchen beim Energiekonzept
Eigentlich braucht Deutschland dringend ein langfristiges, wirklich schlüssiges und über alle politische Lager
akzeptiertes Energiekonzept. Nur damit könnten die Herausforderungen des Umbaus unserer Energiewirtschaft ohne massive
Probleme und Fehlentscheidungen gemeistert und die Investitionssicherheit für langfristige Investitionen gewährleistet
werden. Um solch einen Schritt über alle Parteigrenzen hinweg durchzusetzen, bräuchten wir allerdings Politiker von
wirklicher Größe. Was die künftige Energieversorgung anbelangt, backt man derzeit aber lieber nur kleinere Brötchen.
Für uns Stromkunden ist das eine schlechte Nachricht. Wir müssen wohl vermutlich doch unseren Strom künftig doppelt
bezahlen.
Volker Quaschning
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