Keine Angst vor der Sonnenfinsternis
Immer wieder prophezeien die Gegner der Energiewende den Zusammenbruch unserer Stromversorgung
bei einem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien. Besonders gefährlich ist der Winter oder die jüngste Sonnenfinsternis.
Dabei brauchen wir für eine echte Energiewende keine Untergangspropheten, sondern Wissenschaftler und Ingenieure.
Denn wenn die Energiewende richtig gemacht wird, steigt sogar die Versorgungssicherheit.
"Angst vor der Sonnenfinsternis" titelte der Spiegel im September letzten Jahres. Die Netzbetreiber fürchteten den 20. März 2015.
Am Vormittag dieses Tages wird in Deutschland und großen Teilen Europas eine partielle Sonnenfinsternis erwartet.
Durch den zu erwartenden Leistungsabfall der Photovoltaik würden die Netze instabil. Viel mehr noch, es drohe der totale Blackout,
wenn nicht große Photovoltaikkapazitäten rechtzeitig vom Netz gingen. Ganz neu sind solche Kassandrarufe nicht. Früher war noch
keine Sonnenfinsternis für Panikattacken bei der Stromversorgung nötig. Bereits 2008 befürchteten die Stromkonzerne
Versorgungsengpässe. Im Oktober 2012 warnte der damalige Bundeswirtschaftsminister Rösler von der Wer-war-nochmal-die-FDP vor
großflächigen Stromausfällen durch die Energiewende im Winter. 2013 blies der Vorstandsvorsitzende von RWE erneut ins gleiche Horn.
Nachdem wir mehrere Winter vermeintlich am Abgrund vorbeigeschrammt sind, aber einfach nichts passieren wollte, haben
diese Warnungen ihren Schrecken verloren. Also muss nun eine Sonnenfinsternis für neue Horrorszenarien herhalten. Die Kosten
eines flächendeckenden Stromausfalls in Deutschland werden immerhin auf bis zu 600 Millionen Euro pro Stunde geschätzt.
Bleibt der Strom gar mehrere Tage weg, ist ein Kollabieren der gesamten Gesellschaft zu erwarten, wie sich sehr gut im Roman
Blackout nachlesen lässt.
Kein Wunder, dass diese apokalyptischen Aussichten gerne genutzt werden, um für den Bau oder Erhalt konventioneller
Kraftwerkskapazitäten und gegen einen Ausbau erneuerbarer Energien Stimmung zu machen. Bereits 1975 versuchte der damalige
baden-württembergische Ministerpräsident Hans Karl Filbinger so den Bau des Atomkraftwerks Wyhl durchzusetzen: "Ohne das
Kernkraftwerk werden bis 1980 in Baden-Württemberg die ersten Lichter ausgehen." Das Kraftwerk Wyhl wurde bekanntlich bis
heute nicht gebaut. Aber wer weiß: Wenn Ihnen heute im Ländle eine Glühbirne durchbrennt, könnte es ja am fehlenden Atomkraftwerk
liegen. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Jürgen Großmann plagiierte diese Aussage und stellte damit allgemein das Gelingen der
Energiewende in Frage: "Im Januar blies wenig Wind, es gab kaum Sonne. Stellen Sie sich vor, 80 Prozent unserer Stromerzeugung
hingen von erneuerbaren Energien ab: Da würde in Zeiten wie diesen nicht nur das Licht ausgehen."
Wer so mit den Ängsten der Bevölkerung spielt, kann am Ende nur Vertrauen verlieren. Dabei sind seriöse Überlegungen zur
Versorgungssicherheit mehr als angebracht. Schließlich sind wir mit der Energiewende dabei, unser Energieversorgungssystem
komplett auf den Kopf zu stellen. Wollen wir einen wirksamen Klimaschutz erreichen und damit die Lebensgrundlagen künftiger
Generationen erhalten, sollte unsere Stromversorgung schnellstmöglich vollständig auf erneuerbaren Energien basieren.
Wissenschaftler sind gefragt, nicht Untergangspropheten
Dazu müssen alle Auswirkungen sachlich analysiert und die nötigen Maßnahmen rechtzeitig in die Wege geleitet werden. Hier
schlägt die Stunde der Ingenieure und Wissenschaftler und nicht der Untergangspropheten. "Lass uns eine Studie zur Sonnenfinsternis
erstellen", war die Reaktion meiner wissenschaftlichen Mitarbeiter auf den besagten Spiegel-Artikel. Nach einigen Wochen Arbeit
und vielen Millionen Simulationsrechnungen waren wir – anders als der Spiegel – in der Lage, wissenschaftlich belastbare
Aussagen zur Sonnenfinsternis zu machen.
Die Sonne wird in Deutschland am besagten 20. März über einen Zeitraum von zweieinhalb Stunden um bis zu 80 Prozent vom Mond
verdeckt. Mittags zur Zeit der besten Sonneneinstrahlung ist das Schauspiel schon wieder vorbei. Als Folge wird tatsächlich
die Leistung der Solaranlagen absinken und dann sehr schnell wieder emporschnellen. Bei Kaiserwetter kann sich die Erzeugungsleistung
aller deutschen Solaranlagen um bis zu 350 Megawatt pro Minute ändern. Nun gehören schnelle Leistungsänderungen bei Solar- und
Windkraftanlagen zum Tagesgeschäft. Auch ohne Sonnenfinsternis kann sich morgens und abends die Leistungsabgabe der Photovoltaik
in Deutschland um 100 Megawatt pro Minute ändern.
Das ist zwar deutlich weniger als im Worst Case bei der Sonnenfinsternis zu erwarten ist, doch müssen wir künftig bei
einer Verdreifachung der Photovoltaikleistung in Deutschland jeden Morgen mit diesen Leistungssprüngen rechnen. Auch die Gradienten
der Windkraft nehmen stetig zu. Am 1. Januar 2015 lag die durchschnittliche Leistungssteigerung der deutschen Windstromerzeugung
zwischen 21 und 22 Uhr schon über 70 Megawatt pro Minute. Durch einen intelligenten Einsatz der bestehenden Pumpspeicher in
Deutschland ließen sich auch bei der Sonnenfinsternis die Leistungsänderungen auf die übliche Größenordnung reduzieren.
Die verbleibenden Schwankungen sind gut vorhersagbar und daher mit bestehenden konventionellen Kraftwerken problemlos auszuregeln.
Und wenn noch ein paar Wolken dazukommen, was in Deutschland ja nicht ganz unwahrscheinlich ist, werden die Schwankungen weiter
reduziert. Angst vor der Sonnenfinsternis ist zumindest aus wissenschaftlicher Sicht damit nicht angebracht.
Eines zeigt unsere Studie allerdings auch: Ohne konventionelle Kraftwerke zum Ausregeln der Schwankungen der Photovoltaik
und Windkraft lässt sich die Stromversorgung derzeit in Deutschland nicht sicherstellen. Hierin sehen die großen Energieversorger
einen Ausweg aus ihrer sich immer weiter zuspitzenden finanziellen Lage. Kapazitätszahlungen für konventionelle Kraftwerkskapazitäten
sollen künftig nach ihren Vorstellungen neues Geld in die klammen Kassen spülen. Fossile Kraftwerke würden nach diesen Vorstellungen
eine "SoDa"-Prämie erhalten: Sie bekämen bereits Geld, wenn sie einfach nur "so da" sind – für den Ernstfall versteht sich,
wie beispielsweise die Sonnenfinsternis.
Damit ließe sich das Zeitalter der klimaschädlichen fossilen Kraftwerke beliebig verlängern. Das Geld für die Kapazitätsmärkte
fehlt dann beim Umbau der Elektrizitätsversorgung. Dabei ist die klassische Elektrizitätsversorgung alles andere als eine sichere
Bank. Die Kern- und Kohlekraftwerke in Europa kommen immer mehr in die Jahre. Damit nimmt auch deren Störanfälligkeit kontinuierlich
zu. Fallen mehrere Großkraftwerke gleichzeitig aus, ist ein Blackout wirklich nur noch sehr schwer abzuwenden. Rein statistisch
gesehen ist das nicht sehr wahrscheinlich. Doch die gefühlte Terrorgefahr steigt auch in Europa stetig an und könnte die
Wahrscheinlichkeiten spürbar verschieben. Dezentrale erneuerbare Kraftwerke sind in dieser Hinsicht erheblich im Vorteil.
Sie haben deutlich kleinere Leistungen. Um einen Blackout zu provozieren, müssten schon zehntausende Terroristen gleichzeitig
zuschlagen.
Wird die Energiewende richtig gemacht, steigt die Versorgungssicherheit
Künftig wird der Klimawandel mehr und mehr den Takt der Energiewende bestimmen. Wollen wir die Folgen der globalen Erwärmung
in noch einigermaßen vertretbaren Grenzen halten, sollte unsere Energieversorgung bereits 2040 vollständig auf erneuerbaren
Energien basieren. Um das zu erreichen, müsste der aktuelle Windenergiezubau mindestens verdoppelt und der Photovoltaikzubau
mindestens verfünffacht werden. Konventionelle Kraftwerke werden dann schon recht bald nicht mehr die Leistungsschwankungen
der erneuerbaren Energien ausgleichen können. Neue Batteriespeicher, gesteuert geladene Elektroautos, elektrische Heizungen
und die Umwandlungen von Elektrizitätsüberschüssen in Methan über Power-to-Gas-Anlagen müssen schon bald diese Aufgaben
übernehmen.
Die Politik scheint diesen Herausforderungen recht planlos gegenüberzustehen. Sie diskutiert lieber über neue Leitungen
und einen möglichst langsamen, geordneten Ausbau erneuerbarer Energieanlagen. Beides wird künftig nicht helfen, eine
Sonnenfinsternis auch ohne fossile Backup-Kraftwerke zu überstehen. Statten wir jeden zweiten Haushalt und jeden zweiten
Gewerbebetrieb mit einem kleinen Batteriespeicher aus, übersteigt die resultierende Speicherkapazität die der vorhandenen
Pumpspeicherkraftwerke um mehr als das Zweifache. Selbst kurzfristige Leistungsschwankungen im zweistelligen Gigawattbereich
hätten dann ihren Schrecken verloren. Die Chancen von Terroristen durch Anschläge im Elektrizitätsbereich, ernsthafte Schäden
anzurichten, wären ebenfalls passé.
Und wenn doch einmal ein Stromausfall – aus welchem Grund auch immer – das Land heimsuchen sollte, hätte ein Großteil der
Bevölkerung immer noch Strom. Wird die Energiewende richtig gemacht, erhöht sich mit ihr auch die Versorgungssicherheit.
Statt über Stromausfälle durch eine Sonnenfinsternis, nicht gebaute Atomkraftwerke oder die Energiewende im Allgemeinen zu
spekulieren, sollten wir also lieber die Energiewende sinnvoll vorantreiben. Wenn wir nur einen Funken Verantwortungsgefühl
für unsere Kinder und Enkelkinder haben, müssen wir den Ausbau erneuerbarer Energien erheblich beschleunigen und dann Speicher,
Elektroautos, Power-to-Heat und Power-to-Gas endlich in großem Volumen in den Markt bringen.
Vor einer Sonnenfinsternis habe ich keine Angst. Wirkliche Sorgen habe ich nur vor Politikern, Lobbyisten und Konzernvertretern,
die sämtliche Gefahren des Klimawandels ignorieren und stattdessen versuchen, eine echte Energiewende mit wissenschaftlich
wenig haltbaren Blackout-Horrorszenarien auszubremsen. Kopfschmerzen bereiten mir auch einige wenige Journalisten, die das
dann auch noch ungefiltert in die Welt hinaustragen. Dagegen sollten möglichst viele Bürger protestieren, eigene Anlagen
bauen und eine Beschleunigung der Energiewende fordern. Lasst uns das Naturschauspiel der Sonnenfinsternis im März genießen
und dann endlich die Rettung der Welt in Angriff nehmen.
Ergänzung:
Natürlich ist unsere Stromversorgung bei der Sonnenfinsternis nicht zusammengebrochen. Die Netzbetreiber haben einen guten
Job gemacht und die Netzfrequenz war sogar deutlich stabiler als an anderen Tagen. Wenn alle ganz genau hinsehen, hat das
offensichtlich auch manchmal Vorteile. Trotz tollem Wetter und der damit verbundenen starken Schwankungen kamen wir perfekt
mit den Auswirkungen der Sonnenfinsternis zurecht. Fragen der Versorgungssicherheit sprechen damit erwiesenermaßen nicht
mehr gegen einen weiteren schnellen Ausbau der Solarenergienutzung. Worauf warten wir also noch?
Volker Quaschning
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